Nicht bloß „schöne Liedlein“ im Musikverein

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Standing Ovations für Christian Gerhahers und Gerold Hubers Erkundungen von Mahlers Liedern.

„Wer hat denn das schön schöne Liedlein erdacht?“, heißt es im Text in seltsam ironisch anmutender Verdopplung. Gustav Mahler hat da zwei Gedichte aus „Des Knaben Wunderhorn“ zusammengefügt und stark umgeformt. Und mit welch ernstem, beinah drohendem Unterton Christian Gerhaher von den „drei Gäns'“ kündete und wie nachdrücklich er „zwei graue und eine weiße“ wiederholte, machte klar, dass es sich dabei um die zentrale Botschaft handeln müsse: Das Wirtstöchterlein hat nicht aufgepasst, nun ist die weiße Gans mit zwei grauen Jungen unterwegs, also unehelichen Kindern.

Eine Überinterpretation? Wenn irgendein Liedsänger vom Drang beseelt ist, dem Zusammenwirken aus Text und Musik auf den Grund zu gehen und das auch noch vermitteln kann, dann Gerhaher. Und aus seiner Sicht schiene es weitaus unglaubwürdiger, ein Komponist wie Mahler hätte hier aufs Geratewohl und nur um ein paar hübscher Verse willen Gänse ins Spiel gebracht. Ein Lied zu deuten heißt auch, ihm Sinn zu verleihen. Und wenn Gerhaher singt, dann ist nichts Zufall, sondern alles sinnvoll – selbst wenn er, wie im ersten Teil spürbar, nicht in allerbester Form angetreten sein sollte.

Triste „Wunderhorn“-Einblicke

Bloß „schön schöne Liedlein“ waren es also gewiss nicht, die den Großen Musikvereinssaal erfüllten. Dergleichen war ohnehin nicht zu erwarten bei Zyklen wie den „Gesellen-“ und den „Kindertotenliedern“ mit ihrer komplexen Verbindung gleichsam Bach'scher Kontrapunktik und anbrechender Moderne. Gerhahers Palette beginnt nah am Sprechklang und reicht bis zum schallenden Fortissimo: das bloße Rüstzeug für eine mit heißem Herzen, aber klarem Kopf betriebene Seelenzergliederung. Grandios auch, wie Gerold Huber mit bockigen Sforzati, beißenden Dissonanzen und minuziös auf Gerhaher abgestimmten Nuancen die Lieder am Klavier ausleuchtete. Doch auch die „Wunderhorn“-Einblicke der beiden waren fast durchwegs trist und schmerzlich. Selbst wenn das lyrische Ich mit Lust durch einen grünen Wald spazierte, schien hinter jedem Baum der Wolf zu lauern. Da konnte als Zugabe nur „Urlicht“ folgen. Nichts anderes. Nicht mehr.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.06.2015)

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