Menschliches Maß in Mahlers Symphonik

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Mariss Jansons erntete Ovation mit seiner Interpretation der Dritten
im letzten ,Philharmonischen“.

Mahlers Dritte, längste Symphonie des großen Repertoires; und dank der geradezu märchenhaften Titel der einzelnen Sätze ein durchaus problematisches Stück: „Was mir die Blumen auf der Wiese erzählen“ klingt doch nach akustischer Kinderbuchillustration. Dazu die oft simple, holzschnittartige, aus Volksmusik schöpfende Melodik: Der Zugang zu diesem im Ausklang des 19.Jahrhunderts geschaffenen symphonischen Unikums ist einesteils höchst einfach, andererseits beinah verstellt von Vorurteilen wie von hochtrabenden Kommentaren.

Die Wahrheit liegt, wie so oft, in einer Mitte, die für Interpreten wie Publikum schwer erreichbar ist. Mariss Jansons versteht sich auf eben jene Märchenerzählerkunst, die Mahler meint. Die scheinbare Naivität hat immer einen doppelten Boden, hie und da einen dreifachen.

Die Wahrheit in D-Dur

Jansons ist nicht nur ein Liebling des Wiener Publikums, sondern auch einer der Favoriten der Wiener Philharmoniker, die für ihn mit besonderer Hingabe aufspielen. Auf diesem Instrument lassen sich die harten Schnitte und kühn geschärften Trompetensignale, mit denen Mahler als Hymnus auf die Natur die Felslandschaft am Attersee malt, ebenso farbenreich darstellen wie die Pastellfarben der Wald- und Wiesenromantik in den illustrativen Sätzen der Symphonie.

Bei allem schwingt aber unter Jansons' Führung ein menschlicher Ton mit, der sich zunächst ganz unbemerkt einzuschleichen scheint, ein fast unhörbarer Celloklang, ein paar behutsame Akkorde, die aus dem einmal trotzig-abweisenden, dann allzu tollen Treiben herausleuchtet. Wenn Bernarda Fink (wirklich bewegend!), die Damen des Singvereins und die Sängerknaben aber ihre Stimme erheben, dann führen sie uns mit einem Mal aus allem Festparadenlärm in jene Sehnsuchtsregionen, in denen die Musik aus der Stille herausströmt, eine ganz andere Dimension erschließend als die Marschrhythmen, in die der erste Satz der Symphonie scheinbar triumphal mündet: Die Wahrheit verströmt sich im finalen Adagio dann in selbstvergessenen D-Dur-Kantilenen, die die Philharmoniker unter Jansons wohl wie kein anderes Orchester zum Klingen bringen. Jubel für alle, Ovationen für den Maestro. (sin)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.06.2015)

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