Kirill Petrenko wird Chefdirigent der Berliner

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Die Berliner Philharmoniker haben nun doch rasch entschieden: Die Wahl der selbstbestimmten Musiker fiel auf den Münchner Generalmusikdirektor, der in Österreich studiert hat. Wann Petrenko sein Amt antritt, ist noch offen.

Kurz gesagt: Die Berliner Philharmoniker haben sich entschlossen, an ihre große Tradition anzuknüpfen. Ein solcher Satz klingt, als sollte er angesichts der Selbstverwaltung eines der bedeutendsten Orchester der Welt selbstverständlich sein. Doch lehrt die jüngere Geschichte, dass interpretatorische Höhenflüge, die dem Orchester unter Führungspersönlichkeiten wie Wilhelm Furtwängler (seit 1922) oder Herbert von Karajan (1955 bis 1989) legendären Ruf gesichert haben, zuletzt ausgeblieben sind. Seit geraumer Zeit gilt es keineswegs mehr als ausgemacht, dass die Berliner Philharmoniker sozusagen „naturgemäß“ das führende Orchester Deutschlands sind – in Sachen Klassik und Romantik hat der Klangkörper in Wahrheit seit Karajans Tod kaum noch Maßstäbe zu setzen gewusst.

Gegen den Zeitgeist

Das scheint den Musikern, die ihren Chefdirigenten selbst wählen, durchaus bewusst zu sein. Die Farce um die angekündigte, dann aber nach stundenlanger Diskussion wieder verschobene Wahl eines Nachfolgers für den seit 1999 (nach dem Abgang von Claudio Abbado) amtierenden Sir Simon Rattle lehrte, wie dramatisch die Situation ist: Es wäre ein Leichtes gewesen, einen glamourösen Namen nach Berlin zu holen und mit ihm die zuletzt gepflegte Taktik weiterzuführen. Man pflegt ein trendig-zeitgeistiges Profil, das mittels geschäftiger Jugendarbeit, Nachwuchs- und Zeitgenossenpflege samt artigem Webdesign die Frage nach Beethoven- oder Brahms-Interpretationen übertüncht. Man macht, was alle tun, die sich wohlwollender Schlagzeilen sicher sein wollen.

Nun haben die Berliner aber Kirill Petrenko gekürt, der für vordergründige PR-Spielchen nicht zu haben ist, notorisch ungern Interviews gibt und der als skrupulöser, unerbittlich nur seinem Qualitätsanspruch ergebener Dirigent gilt, der nicht davor zurückschreckt, auch im letzten Moment ein Konzert oder eine Opernproduktion abzusagen, wenn die Voraussetzungen nicht hundertprozentig stimmen.

Mit so jemandem macht man nicht leicht Verträge, es sei denn, man geht das Risiko bewusst ein, um ehrgeizig wirklich wieder an die Spitze zu gelangen. Dafür ist Petrenko garantiert der rechte Mann. Nirgendwo weiß man das besser als in Österreich, wo der aus Omsk gebürtige Künstler aufgewachsen ist und ausgebildet wurde. Seit seinem Abschlusskonzert nach Absolvierung der Dirigentenklasse an der Wiener Musikuniversität galt er unter Eingeweihten als das vermutlich größte Dirigiertalent seiner Generation.

Wiener Erfahrungen

Und als das klügste, denn die raschen Verlockungen, die solchen Taxierungen folgen, haben Petrenko nicht irritieren können: Er nahm nicht sofort die Einladungen der besten Orchester und Opernhäuser an, sondern ging, wie man das früher nannte, „in die Provinz“, um sein Repertoire in zäher Arbeit aufzubauen. Wo er hinkam, erntete er Begeisterung. Ob in Meiningen, wo er am Staatstheater den für dortige Verhältnisse eigentlich irrealen „Ring des Nibelungen“ an vier aufeinanderfolgenden Tagen stemmte – übrigens in Bühnenbildern des Wiener Bildhauers Alfred Hrdlicka. Oder in Berlin, wo er am „dritten Haus“, der Komischen Oper, für Aufsehen sorgte und gleich etliche Auszeichnungen einheimste.

In Wien war er zunächst an der Volksoper, dann auch im Haus am Ring zu erleben, im Theater an der Wien dirigierte er manch aufregende Premiere und sagte andere ab. Zuletzt kehrte er – schon als wohlbestallter Generalmusikdirektor der Stadt München – im Triumphzug zurück und dirigierte einen „Rosenkavalier“ an der Staatsoper, der allen unvergesslich bleiben wird, die dabei sein konnten.

Der Vergleich mit Carlos Kleiber, einem ähnlich „Schwierigen“ des Metiers, blieb hier wie in München nicht aus. Die wenigen Gastspiele, die Petrenko am Pult der Berliner Philharmoniker bis dato absolviert hat – auch dieses Orchester blieb von Absagen nicht verschont – hinterließen tiefe Spuren nicht nur im Bewusstsein des Publikums, sondern offenbar auch in jenem der Musiker, die den 43-Jährigen nun zum künftigen Chef gekürt haben.

Sie dürfen davon ausgehen, dass die neue Ära von außergewöhnlichen Interpretationen geprägt werden wird.
Wer sich an Petrenkos offizielles Wiener Debütkonzert mit dem RSO erinnert, das nebst Franz Schmidts romantisch aufrauschender Vierter Haydns klassisch-klare, von hintergründigem Humor erfüllte Nr. 88 enthielt, weiß, warum man das behaupten darf: Dieser Mann ist in allen Stilen firm.

Aus München verlautete umgehend, man werde versuchen, Petrenkos Generalmusikdirektorenvertrag trotz der Berliner Kür zu verlängern. In Berlin wiederum ist man sich noch nicht klar, wann der neue Chefdirigent sein Amt antreten kann!

Aus Wiener Perspektive scheint die Wahl jedenfalls ideal: Die Wiener philharmonische „Konkurrenz“ war stets am allerbesten, wenn die künstlerische Herausforderung aus Berlin am höchsten war. Wichtige Dirigenten könnten sich nun vielleicht die Chance nicht entgehen lassen, den künstlerischen Wettstreit von Wien aus aufzunehmen . . .

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.06.2015)

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