Nurejew Gala: Wenn Ballerinen kopfstehen

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Zum Saisonschluss brachte Ballettchef Manuel Legris Romanzen, Psychodramen, einen Schuss Humor und sich selbst auf die Bühne. Schweißtreibend und schön.

Das Ballett ist einer der letzten Rückzugsorte wahrer Galanterie. Ballettdirektor Manuel Legris kündigte Isabelle Guérin, eine Gastsolistin der großen Saison-Abschlussgala, im Programmheft als „?toile, Ballet de l'Opéra de Paris, mit der ich selbst die Ehre haben werde zu tanzen“, an. Es war ein berührender, einfühlsamer, die Vorzüge der späten Tänzerjahre hervorhebender Pas de deux, den die beiden ehemaligen Pariser Starsolisten präsentierten: „The Farewell Waltz“ von Patrick de Bana zur Musik von Frédéric Chopin zeigt ein in tiefer Zuneigung verbundenes Paar, das durch die Umstände, das Leben auseinandergerissen wird. Manuel Legris, der noch immer täglich trainiert, und die ausdrucksstarke Isabelle Guérin tanzten dieses Stück schon bei seiner Uraufführung 2014 in Shanghai.

Der Abend bot noch mehr Gelegenheit für galante Gesten. Am kunstvollsten warf sich der langgliedrige Semyon Chudin vor der russischen Ballerina Evgenia Obraztsova auf die Knie. Die zwei Ersten Solotänzer des Moskauer Bolschoi-Theaters beherrschen den Pathos des klassischen Tanzes bis zur Perfektion und zeigten in Marius Petipas „Die Tochter des Pharao“, mit welcher Hingabe neben dem darstellenden Teil auch die Verbeugung absolviert werden kann. Andere Kavaliere trugen ihre Partnerinnen auf Händen: Am spektakulärsten tat es wohl Kirill Kourlaev, als er Olga Esina in David Dawsons „On the Nature of Daylight“ mit einer raschen Bewegung auf den Kopf stellte – sie baumelte mit nur einem Unterschenkel eingehakt kopfüber von seinem nach oben gestreckten Arm. Die Formen der Anbetung sind im Ballett ebenso elegant wie vielfältig.

Tanz im Gleichgewicht: „Dornröschen“

Auf eine ganze Reihe von Kavalieren konnte sich Liudmila Konovalova in ihrer Darbietung des Rosenadagios aus Rudolf Nurejews Version von Marius Petipas „Dornröschen“ stützen. Es ist einer der schwierigsten Balanceakte, den das klassische Repertoire für die Ballerina auf Spitzenschuhen parat hat – und als Konovalova dann nach einer gefühlten Ewigkeit im Gleichgewicht auf nur einem Bein auf die dargebotene Hand eines ihrer Tanzpartner sogar verzichten konnte, es also ohne Hilfe durchstand, erntete sie verdient tosenden Applaus. Wie überhaupt das Wiener Publikum die Gastsolisten zwar umjubelte, vor allem aber den eigenen Stars und dem Ensemble mit Standing Ovations seine Anerkennung und Zuneigung bezeugte.

Vier Stunden lang wechselten einander klassisches und zeitgenössisches Repertoire ab: So unterschiedliche Choreografen wie George Balanchine und Rudi van Dantzig, Maurice Béjart („Lieder eines fahrenden Gesellen“, gesungen von Clemens Unterreiner) und Helen Pickett („Eventide“) standen auf dem Programm. Legris hatte für seine Tänzer einen Abend der Romanzen, Psychodramen und des Humors (amüsant: „Skew-Whiff“ von Paul Lightfoot, Sol León) programmiert. Die intensivsten Momente fand man aber in der Verzweiflung. Wenn sich die zerbrechlich dünne Nina Poláková in „Kazimir's Colours“ von Mauro Bigonzetti zitternd an die Schulter von Eno Peci lehnt, versteht man die Hilflosigkeit seiner Geste: Dieses Wesen geht ihm gerade verloren. Dramatisch auch Roland Petits „L'Arlésienne“: Ein frisch, aber unglücklich vermählter Mann stürzt sich trotz der liebevollen Avancen seiner Frau in den Freitod. Maria Yakovleva und Davide Dato brillierten als die zwei Unglücklichen.

Kevin Rhodes geleitete das Orchester mit schweißtreibender Energie durch diesen auch musikalisch abwechslungsreichen Abend. Zum Schluss ein Vorgeschmack auf 2015/16: Im ersten Akt aus Nurejews „Don Quixote“ gab Denys Cherevychko als Basil einmal mehr eine herausragende Talentprobe ab.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.06.2015)

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