Freude, Mythos und Aufklärung in Salzburg

Heute schon Haydn geh�rt?
Heute schon Haydn geh�rt?(c) ORF (Felix Breisach)
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Auftakt der „Ouverture spirituelle“ mit Haydns „Schöpfung“: Groß besetzt, aber wendig musiziert.

Gerade hatte sich die Sonne mit dem ersten zarten Strahl des Tones d am Horizont gezeigt, da bohrte sich ein Klingelton in die Ruhe. Ja, er klang vogelartig und flötete also nicht völlig unpassend zum komponierten Naturschauspiel. Aber Laute von dem, was da kreucht und fleucht, hat Joseph Haydn schon selbst zuhauf in die Partitur der „Schöpfung“ verwoben, elektronische Nachbesserung ist da keine nötig. Und mit der Stimmung war's natürlich Essig: Dirigent Marc Minkowski nützte seine Macht, den Sonnenaufgang vorerst abzusagen. Dass dann gleich auch noch ein medizinischer Notfall auf dem Rang des Großen Festspielhauses längere Zeit ein Getöse der Hilfsbereitschaft nach sich zog, verlängerte die unfreiwillige Pause während der Erschaffung der Welt noch.

Das bot Gelegenheit zur Reflexion. Worauf können wir uns verlassen? Unsere Erfahrung sowie die Erkenntnisse der Naturwissenschaft sagen uns übereinstimmend, dass auch morgen wieder die Sonne aufgeht. Was ist sonst noch sicher? Dass Konzertbesucher für Anrufe erreichbar bleiben wollen oder mit ihrem Handy überfordert sind. Und seit ein paar Jahren auch, dass Haydns „Schöpfung“ die Salzburger Festspiele eröffnet.

Eigentliche Eröffnung kommt erst

Der längst in Mailand arbeitende Alexander Pereira hatte dem Festival mit der „Ouverture spirituelle“ eine zusätzliche Woche geistiger Einkehr zu Beginn verordnet, damit aber auch den Festspielauftakt verwässert: Sven-Eric Bechtolf als Kurzzeitnachfolger tritt dieses etwas zwiespältige Erbe an, denn die eigentliche Eröffnung findet wie eh und je erst zum letzten Juliwochenende statt.

Will man jedoch christliche Sakralmusik mit Klängen aus anderen Religionen konfrontieren, heuer etwa aus dem Hinduismus, dann bildet die „Schöpfung“ tatsächlich einen glücklichen Auftakt: Sie ist nicht einmal liturgisch gebunden und weist in ihrer damals zum Teil als kühn empfundenen Verbindung von Glaubensinhalten mit Gedankengut der Aufklärung über ihre Zeit hinaus.

Nicht so streng wie Harnoncourt

Kein Zweifel, dass Minkowski die Originalklangbewegung auch als aufklärerische Tendenz begreift. Aber der Zeigefinger des strengen musikalischen Predigers, wie ihn der Pionier Nikolaus Harnoncourt gottlob immer noch erhebt, der ist dem drei Jahrzehnte jüngeren Minkowski doch fremd. Bei ihm sind die Tonmalereien, die dem Text ja immer vorausgehen, nicht so lehrreich voneinander getrennt, und wenn sich Eva im Paradies gehorsam ihrem Gatten unterwirft, dann klopft das Continuo seine Akkorde nicht etwa so bedeutsam schroff wie zuletzt im Wiener Musikverein zu Harnoncourts 85.Geburtstag, sondern trägt sie weich und fließend vor: Man weiß ja, eine andere Zeit...

Fern von den Deklamationen der „Klangrede“ interpretiert Minkowski die „Schöpfung“ fließender, musikantischer, vielleicht sogar im besten Sinne naiver. Er stockt dafür nicht nur die Streicher seiner Musiciens du Louvre mit historisch gut informierten Mitgliedern des Mozarteumorchesters Salzburg auf, sondern verdoppelt auch Holz, Blech und sogar Pauken. Das ist in großen Sälen als historische Praxis nicht zuletzt bei der „Schöpfung“ belegt, wird aber heute allzu selten beachtet. Dynamische und koloristische Effekte kostet er genüsslich und voller Freude aus, hält dabei den Klang dennoch recht schlank und wendig. Sängerisch folgte ihm auf diesem Weg der tadellose Salzburger Bach-Chor am getreulichsten. Bei den Solisten aber waren das allzu pastos-breite Legato des Tenors Stanislas de Barbeyrac, der etwas unebene Vortrag von Adrian Sâmpetrean (Bass) und Chiara Skeraths oft unreine, einmal gar lückenhafte Sopranlinie zu hören: ein Terzett nicht aus der besten aller möglichen „Schöpfungs“-Welten.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.07.2015)

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