Königsthema bei der „spirituellen“ Ouverture

Jordi Savall
Jordi Savall(c) APA/ROBERT JAEGER
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Jordi Savall und Le Concert des Nations brachten in der Kollegienkirche das „Musikalische Opfer“ dar.

Das war gewiss einer der Höhepunkte der heurigen Ouverture spirituelle, des besinnlichen Vorspiels zum Festspielreigen. Konzentriertere musikalische Darstellungen europäischer Geistigkeit als das sogenannte „Musikalische Opfer“, das Johann Sebastian Bach einst dem Preußen-König Friedrich dargebracht hat, gibt es ja kaum.

Der Monarch hatte geruht, dem hochberühmten, für damalige Begriffe schon greisen Vater seines Hofmusicus Carl Philipp Emanuel Bach anlässlich von dessen Besuch in Potsdam ein chromatisch gewundenes Thema vorzuspielen, über das „der alte Bach“ dann kunstvoll improvisieren sollte. Das gelang naturgemäß fulminant – bis Friedrich nach einer „sechsstimmigen Fuge“ verlangte, die der Meister sich für einen späteren Zeitpunkt auszuarbeiten vorbehielt.

Gipfel kontrapunktischen Denkens

Was wie eine Kapitulation wirken mochte, wurde zum Triumph höchsten künstlerischen Handwerks: Bach arbeitete das „thema regium“ nach allen Regeln der Kunst zu unzähligen verrätselten Kanons, deren elaborierte Technik bis heute Staunen erregen muss. Auf diesen Gipfel kontrapunktischen Denkens – Europas singuläre Kulturleistung schlechthin – hat sich musikalische Meisterschaft nie wieder verirrt.

Nur bedeutenden Interpreten vom Rang eines Jordi Savall bleibt es vorbehalten, was schon Bachs Zeitgenossen vielfach als „Augenmusik“ und geistsige Spielerei betrachteten, zu echtem musikalischen Leben zu erwecken. Bach hat – wie um das Maß meisterlicher Erhabenheit vollzumachen – seinem Werk noch eine Triosonate nach der damals aktuellsten Mode beigefügt. Sie kann als Schlüssel dienen, nach welchem Gusto auch die Lösungen der komplizierten Kanons und das zentrale sechsstimmige „Ricercar“ zum Klingen gebracht werden können.

Cembalist Pierre Hantaï löst sogar das Widersinnige des königlichen Auftrags und tut, als ob es ein Leichtes sei, mit zehn Fingern sechs voneinander unabhängige Stimmen mit- und gegeneinander zu führen, ineinander zu verschlingen.

Eine sonor aufgedröselte Variante dieses einzigartigen sechsstimmigen Klangknotens, musiziert von Friedrichs Flöte (Marc Hantaï), zwei Violinen (Manfred Kraemer und David Plantier), Cello (Balázs Máté), Savalls Gamben und Kontrabass (Xavier Puertas), markierte das Finale des hinreißenden Abends in der Kollegienkirche. Die Auflösung der diversen Kanons war zuvor in wechselnder instrumentaler Beleuchtung mit Charme und Subtilität gelungen.

Die Ouverture spirituelle sucht nebst hinduistischen Experimenten in christlicher Konnotation noch größere Dimensionen: Die erste Mozart-Matinee stellt Schuberts As-Dur-Messe in den Mittelpunkt, das erste „Philharmonische“ Bruckners f-Moll-Messe. (sin)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.07.2015)

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