Sex, Drugs und Rock'n'Roll à la Offenbach

BREGENZER FESTSPIELE 2015: FOTOPROBE 'HOFFMANNS ERZAeHLUNGEN'
BREGENZER FESTSPIELE 2015: FOTOPROBE 'HOFFMANNS ERZAeHLUNGEN'(c) APA/DIETMAR STIPLOVSEK
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Bregenzer Festspiele. Hoffmann erzählt radikal von sich selbst: So interpretiert Regisseur Stefan Herheim die „Contes d'Hoffmann“ von Jacques Offenbach. Für seine rauschhaft-wirre Inszenierung gab es fast nur Jubel.

Einen Luftsprung machte Stefan Herheim nach überstandener Premiere, aber nicht etwa in Richtung des bis auf ein paar Buhrufe einhellig jubelnden Publikums, sondern zu Chor und Protagonisten gewendet, die er dann noch einzeln an sich drückte: Kann ein Regisseur glücklicher reagieren? In den dreieinhalb Stunden zuvor hatte er sie allesamt Unglück und tiefes Leid vorführen lassen – unterstützt vom wandlungsfähigen Prager Philharmonischen Chor und den Wiener Symphonikern, die unter Johannes Debus dort noch etwas Geschmeidigkeit, da noch eine Prise Verve vermissen ließen, aber sich an die Sänger anschmiegten und dem Abend im Festspielhaus eine insgesamt farbenprächtige Grundlage boten.

Bei der „Hausoper“ im Windschatten des Spiels auf dem See trachtete Intendant David Pountney meist danach, die Aufmerksamkeit des Festspielpublikums auf Uraufführungen und Raritäten des Repertoires zu lenken. Seine Nachfolgerin Elisabeth Sobotka lockt dagegen in ihrem ersten Bregenzer Sommer mit einem beliebten, aber nur vermeintlich altbekannten Werk – und einem namhaften, für seine ungewöhnlichen Deutungen bekannten Regisseur. „Les Contes d'Hoffmann“ sind für Herheim wirklich ein gefundenes Fressen – auch wenn er sich an ein paar zu großen Bissen zu verschlucken droht.

Jacques Offenbachs unvollendete Oper ist ein in vielen Facetten tragisches, aber gerade dadurch faszinierendes Unikum: durch ihre wechselvolle Entstehungsgeschichte, durch Ergänzungen und Eingriffe verschiedener Bearbeiter, durch die verstümmelte Pariser Uraufführung sowie die Zerstreuung oder Vernichtung wesentlichen Notenmaterials, das erst in den letzten Jahrzehnten in akribischer Kleinarbeit zum Teil wieder zusammengestoppelt werden konnte.

Rollen zusammengelegt und gestrichen

Aber wer ist Hoffmann eigentlich? Und was erzählt er? Radikal von sich selbst, lautet Herheims Antwort. An den musikalischen und dramaturgischen Leerstellen des Stücks installiert er die Achsen für seine Drehspiegel, die letztlich alle Figuren als kaleidoskopische Brechungen erscheinen lassen: Rollen sind zusammengelegt, andere gestrichen; im Venedig-Akt (mit Spiegelarie und Septett, obwohl beide nicht im Original vorkommen) wird die eigens geschaffene musikalische Einrichtung besonders frei.

Christof Hetzer verbindet in seinem Bühnenbild mit einer sich teilenden, riesigen Showtreppe Glamour und Talmi des Varietés mit den Nebelschwaden, geschnitzten Geländern, finsteren Gewölben und Lagerräumen des klassischen Gothic Horror. Der Schwede Daniel Johansson stolpert als Hoffmann mit der liebenswerten Naivität eines Herman Munsters durch diese dunklen Szenerien seines Inneren. Leichte konditionelle Schwächen im letzten Drittel gehen vorüber, er besitzt stimmliche Spannkraft und auch darstellerische Intensität, erinnert im Timbre trotz einer leichten Sprödigkeit ein wenig an Roberto Alagna: ein glaubwürdiger Antiheld. Noch antiheldenhafter aber ist der alkoholkranke Travestiekünstler Stella (Pär Karlsson in einer stummen Rolle), vielleicht die wichtigste unter den Facetten von Hoffmanns Ich – oder ist vielmehr der Dichter ein Teil von ihm/ihr?

In Esther Bialas' Kostümwelt fungieren Haarnetz, Korsett und Strapse gleichsam als universelles Symbol der Verletzlichkeit: Irgendwann landet fast jede Hauptfigur in diesem Outfit, die Frauen sowieso, aber auch Hoffmann. Das Böse scheint zunächst von Außen zu kommen, und zwar – dieses Aperçu reizt zu einem gnädig-milden Lächeln – von einem Protestierenden mitten im Publikum. Als soignierter Opernwutbürger beginnt nämlich der ungeheuer präsente Michael Volle seine Verkörperung der vier Schurken, bevor er die Bühne erklimmt.

Stimmritzen und Schamlippen im Video

Wird die Kunst also durch pöbelhaften Unverstand gestört? Sängerisch mag Volle um Nuancen zu schwerfällig sein und zu wenig Elegance in seine Kantilenen legen, als Figur wirkt er beinah übermächtig – auch und gerade im silbernen Glitzerfummel oder im Mieder mit grünem Lidschatten als Dr. Miracle. So wird das Böse wohl eingemeindet und doch noch als zum Selbst gehörig entlarvt. Genau wie der Sex: Videos führen uns nicht nur in Stellas Stimmritzen hinein, sondern auch aus Olympias Schamlippen wieder heraus; verblüffend, wie logisch sich Hoffmann bei den Strophen des Klein-Zaches-Liedes von Stellas (echtem?) Penis über ihren (künstlichen?) Busen zum Gesicht hocharbeitet; und Penetrationen passiver wie aktiver Natur legitimieren die Koloraturen der Olympia, für die Kerstin Avemo zwar über die extreme Höhe verfügt, aber sonst recht unsauber und ungelenk singt.

Doch ganz so fesselnd, wie sich das alles lesen könnte, war es doch nicht: Die Ideendichte sinkt nach anfänglichem Feuerwerk, Einfälle wie der zaubermächtige Gänsekiel des Dichters geraten in Vergessenheit oder laufen sich tot. Und dass der gute Christophe Mortagne in den Dienerrollen als Offenbach ausstaffiert ist, bleibt eine ebenso oberflächliche Garnierung wie der präsentierte Penis der Muse. Immerhin singt Rachel Frenkel ausgeglichen und nobel, und auch Mandy Fredrich trägt als wohllautende Antonia zum musikalischen Niveau des Abends bei.

Der Schluss läuft invers ab. Hoffmann kommt und findet Stella als Schnapsleiche vor, nicht umgekehrt. Und er selbst, nicht die Muse, stimmt den mit Orgelklängen unterstützten, hymnischen Epilog mit dem romantischen Credo an: Groß ist man durch die Liebe, noch größer aber durch das Leid. So bleibt auch bei Stefan Herheims „Hoffmann“-Deutung zuletzt alles beim Alten.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.07.2015)

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