Salzburger "Norma": Bartoli – und der Rest

Mezzosopranistin Cecilia Bartoli (Archivbild)
Mezzosopranistin Cecilia Bartoli (Archivbild)
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Die Wiederaufnahme von Bellinis Oper bei den Festspielen wurde von der furiosen Titelheldin getragen.

„Unwürdiger, jetzt ist es zu spät“: Noch einmal schleudert Norma diesem römischen (Verzeihung, nazideutschen) Waschlappen Pollione, der, man mag es kaum glauben, die allmächtige Besatzung verkörpert, all ihre Wut, all ihre Verachtung entgegen. Davon hat sie reichlich zu geben, und viel ist es nicht, was John Osborn als Pollione hier der Bartoli entgegensetzen kann. Gut, der Mann ist seit geraumer Zeit gefesselter Gefangener einer Horde „Barbaren“, die einer blutigen Gottheit hörig sind (Verzeihung, von Résistance-Kämpfern, man würde diesen Regie-Einfall gern vergessen), da darf man schon ein wenig verzagt sein. Aber zumindest vokal sollte er zumindest in dieser Szene nach Kräften Paroli bieten. Doch das bleibt aus.

Die Szene unmittelbar vor dem Finale zeigt noch einmal deutlich die Mängel dieser „Norma“-Produktion auf, die die Salzburger Festspiele von den Pfingstfestspielen 2013 übernommen haben. Hier Cecilia Bartoli als Norma – und dann der Rest. Zunächst einmal ist es die schiere Intensität, mit der sie diese Norma spielt, nein, ist: Wie hier jedes Zucken des Mundwinkels, jedes Zusammenkrampfen der Hände, der gehetzte Blick eines verwundeten Tiers ungeschützten Einblick in die verheerte Seele gewähren, das ist schlicht atemberaubend, ein stimmlich-mimisch-gestisches Gesamtkunstwerk. Jede Koloratur dient hier, fern von jeglichem Stimmzirkus, dem Ausdruck. Und wer die eigenwillige Stimmfärbung der Mezzosopranistin mag, der wird auch ihre Norma mögen, auch wenn es schon Partien gegeben hat, die ihrer Stimme vielleicht mehr entsprochen haben mögen.

Ein Gebäude auf einer Säule ist nicht stabil

Den ganzen Abend hindurch blieb es Bartoli vorbehalten, für eine festspielwürdige Leistung zu sorgen. Sie trägt, fleischgewordene Energie, diese „Norma“-Produktion fast im Alleingang, und ein Gebäude, das nur auf einer Säule ruht, ist nun einmal von beschränkter Stabilität. Dies zeigte sich spätestens im effektvollen Terzett, das den ersten Akt abschließt: Wie Dolche schleudert sie jede einzelne Silbe des „Oh, di qual sei tu vittima...“ in den Raum (und macht in der Mimik deutlich, dass sie damit mindestens genauso sehr sich meint wie Adalgisa), und auch hier haben Rebeca Olvera als Adalgisa und Osborn wenig entgegenzusetzen. Olvera verfügt über einen sehr ansprechenden, klaren Sopran, aber nicht über die stimmliche Durchschlagskraft, die nötig wäre, um die Rivalität auch schlüssig hörbar zu machen. In den Duetten der beiden Frauen müssten die Funken eigentlich nur so sprühen, doch mit dieser Würze fehlt dramaturgisch etwas ganz Entscheidendes. Das liegt freilich auch daran, dass die Regisseure Moshe Leiser und Patrice Caurier die Adalgisa szenisch zum hilflosen Hascherl degradieren. Wie sich hier Spannung aufbauen soll, bleibt wohl ihr Geheimnis. Darstellerisch blass als Pollione bleibt auch Osborn, doch das ist an diesem Abend nicht das größte Problem: Man kann hoffen, dass es einfach nicht sein Tag war. Von der (heiklen) Auftrittsarie weg bleibt er deutlich unter den Anforderungen dieser Partie, bringt in der Höhe zu wenig Strahlkraft auf, während in der Tiefe die Stimme mitunter bedenklich flattert.

Glattgebügelte Melodien

Flattrig geriet auch manche Holzbläserpassage des Zürcher Orchesters La Scintilla, das wie schon bei der Premiere 2013 unter der Leitung des Originalklang-Spezialisten Giovanni Antonini im Orchestergraben saß. Der Dirigent bleibt seinem Ansatz treu, Bellinis Melodien zu „de-romantisieren“ und damit glattzubügeln. Das kann man mögen oder auch nicht. Technisch überzeugte die Orchesterleistung nicht durchwegs, bezüglich Koordination und Präzision könnte die Feinabstimmung noch genauer ausfallen. Sehr verdienstvoll ist allerdings Antoninis ungemein sängerfreundliche Gestaltung des Orchesterparts. Indem er in riskante Pianissimo-Regionen vordringt, ermöglicht er den Stimmen, sich völlig frei entfalten zu können. Das ist nicht wenig. Apropos Stimmen: Einen rundum überzeugenden Eindruck hinterließen Michele Pertusi mit seinem gerade auch in der Höhe wohltönenden Bass als Oroveso und Liliana Nikiteanu, die als Clotilde leider nur wenig zu singen hat.

Und die Inszenierung? Dass Leiser und Caurier die Handlung ins Frankreich der Résistance verlegt und aus der Priesterin Norma eine Lehrerin gemacht haben, richtet zumindest keinen großen Schaden an, ist von einer geglückten „Aktualisierung“ aber weit entfernt. Man habe die politische Brisanz des Stoffes verdeutlichen wollen, ist dem Programmheft zu entnehmen. Nun, dass Norma zwischen Liebe und Politik (und Religion, die zwar in der Inszenierung in den Hintergrund gedrängt wird, und qua Libretto – zu blöd aber auch! – immer wieder an die Oberfläche drängt) aufgerieben wird, erschlösse sich auch so. Der Erkenntnisgewinn der Zeitreise tendiert gegen null. Und die Analogie zwischen einem Gallierstamm, der nach dem Signal seiner Priesterin zum Heiligen Krieg lechzt, und Résistance-Kämpfern wäre auch zu hinterfragen. Wenn die Wahl eine zwischen Druidenbärten und Weltkriegsuniformen ist, dann wäre eine konzertante Darbietung nicht die schlechteste Lösung. Weniger Geschichte, mehr Personenführung, das wäre das Gebot gewesen, um mehr aus dieser Oper herauszuholen als eine strahlende Protagonistin.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.08.2015)

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