Ein neuer Versuch über das Allerheiligste der Symphonik

PROBE NEUJAHRSKONZERT 2012
PROBE NEUJAHRSKONZERT 2012(c) APA/HERBERT PFARRHOFER (HERBERT PFARRHOFER)
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In Salzburg führte Bernard Haitink die Wiener Philharmoniker altersweise durch eine Aufführung von Bruckners Achter.

Bruckners Achte ist, metaphorisch gesprochen, nichts für kleine Kinder. Das Werk gehört in eine Kategorie mit Wagners „Parsifal“. Man sollte eigene Festspielhäuser für sie bauen und sie dem Tagesbetrieb entziehen. Insofern ist das Stück recht für eine Salzburger Matinee. Zumal, wenn die Wiener Philharmoniker unter der Leitung eines altersweisen Kapellmeisters musizieren.

Diese Spezies hat gegenüber glamourösen Taktstock-Virtuosen einen unschätzbaren Vorteil: Sie ist frei von Eitelkeit. Ein Mann wie Bernard Haitink muss nicht mehr versuchen, irgendetwas zu beweisen. Er ist der Doyen der internationalen Dirigenten und damit Anwärter für jenen Ehrenplatz, den jeder Interpret einer Bruckner'schen Symphonie, und dieser zumal, für die Dauer des Konzerts einnimmt.


Undurchschaubares Räderwerk. Für junge Maestri, die ausziehen, den Dingen auf den Grund zu gehen, bedeutet dieser Koloss von einer Symphonie eine schier unbezwingbare Herausforderung. Wer alles hörbar machen will, was im polyphonen Räderwerk vor sich geht, scheitert schon im Ansatz. Dirigenten mittleren Alters wiederum haben ihr Problem damit, dass dieses Stück sie lehrt, wie wenig sie eigentlich ausrichten können, wie wenig sie letztlich gebraucht werden.

Es sei denn, sie verstehen sich schon auf jene Kunst, die einem lang dienenden Musikanten wie Haitink wie selbstverständlich zu Gebote steht. „Mein Haar ist schon grau, ich spreche aus Erfahrung“, kann er mit Mozarts Don Alfonso sagen. Wenn einer weiß, wie er die symphonische Riesenmaschine in Gang bringt – und wie er sie dann ohne gröbere Probleme mit dem Energiehaushalt am Laufen hält, hat er schon gewonnen.

Vor allem, wenn er mit den Wiener Philharmonikern ein Orchester zur Verfügung hat, für das diese Achte Bruckners zu den Feiertagswertgegenständen im Familiensilber zählt. Da geht es um ein musikalisches Opfer am Altar des Allerheiligsten der europäischen Kulturgeschichte. Bei diesem Stück hat man tatsächlich den Eindruck, dass jeder einzelne der Musiker vor dem Auftakt noch einmal die Krawatte zurechtrückt.


Vom großen Geheimnis. Was dann erklingt, gehört zu den großen Mysterien der Musik: Allein die satten, weichen Blechbläser-Choräle, die wieder zu hören waren, sind eine Pilgerreise wert. Und Haitink erlaubt sich wirklich nicht den kleinsten Anflug interpretatorischer Selbstbespiegelung. Er waltet als souveräner Spielmacher und straft Bruckners ersten Kritiker, den Dirigenten Hermann Levi, Lügen, der den Meister in eine tiefe Krise stürzte, indem er behauptete, das Werk sei allzu schablonenhaft gebaut.

Allein der klammheimliche Eintritt der Reprise im Stirnsatz beweist das Gegenteil. Von Schablone keine Spur, verschleiernd schleierhaft die Zusammenhänge: Oboen-, Klarinetten-, und Trompetensolo stehen scheinbar nebeneinander, als ob sie nichts voneinander wüssten – aber was für Soli!

Und der Musik bleibt ihr Geheimnis! Das ist vielleicht das Wichtigste. Der „Todesverkündigung“ wie den krönenden Beckenschlägen im ruhig strömenden Adagio folgt – das ist in Salzburg selten – atemlose Stille. Wie in jenem Moment in Beethovens Neunter, in dem „die Welt den Schöpfer ahnen“ soll. Selbst Skeptiker, denen Bruckners Katholizismus völlig fremd sein mag, spüren dann vielleicht einen Abglanz der Harmonia mundi. „Und mehr bedarf's nicht . . .“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.08.2015)

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