Die „Dreigroschenoper“ wird weichgespült

SALZBURGER FESTSPIELE 2015: FOTOPROBE 'MACKIE MESSER - EINE SALZBURGER DREIGROSCHENOPER'
SALZBURGER FESTSPIELE 2015: FOTOPROBE 'MACKIE MESSER - EINE SALZBURGER DREIGROSCHENOPER'APA/BARBARA GINDL
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Der Hit von Hauptmann, Brecht und Weill gerät als „Mackie Messer“ zum braven Musical. Daran ist vor allem die musikalische Adaption von Martin Lowe schuld.

Man könnte es eine gutbürgerliche Variation des „radical chic“ nennen. Für gut drei Stunden wurde die Felsenreitschule am Dienstag bei der Premiere von „Mackie Messer“ zum Laufsteg: reihenweise Lumpen, wie von Westwood kreiert oder aus dem Fundus des Films „Gangs of New York“. Die Darstellung von Armut und Verbrechen in der „Salzburger Dreigroschenoper“, die sich recht genau an den Originaltext von Bertolt Brecht und Elisabeth Hauptmann, aber nur verschwommen an die Musik von Kurt Weill hält, ist an Opulenz kaum zu überbieten. Eine „einmalige Experimentalfassung in der musikalischen Adaption von Martin Lowe“ wird im Programmheft der Salzburger Festspiele versprochen. Genau dieser musikalische Versuch ist jedoch problematisch.

Die Verfremdung der Verfremdung wirkt radikal ungeschickt. All die Gemeinheit, mit der Brecht und Weill Bürgertum und Verbrechen zur Deckung bringen, wird zum Salzburger Nockerl, mit dem das „Ensemble 013“ unter Dirigent Holger Kolodziej jeden Widerstand erstickt. Obergauner Macheath kommt am Ende nicht an den Galgen, sondern wird in den Adelsstand erhoben und mit einer lebenslangen Pension bedacht. Eine derartige Willkür der Obrigkeit ruft nach schrillen Tönen. Aber in der Felsenreitschule sind vor allem die Streicher und manchmal auch Keyboards und Blech derart überzuckert, dass sich die Darsteller offenbar nur mit Mikroports über große Lautsprecher durchsetzen können. Mamma mia! Was für eine Schnulzenparade samt Tänzen, mit all diesen aufdringlichen musikalischen Überleitungen, die vom Geschehen auf der Bühne ablenken.

Ideal für Sommerabende in Mörbisch

Lowe, ein im Westend und am Broadway erfolgreicher Orchestrator, hat das scharfsinnige, zynische Original von 1928 zum Musical weichgespült. Von Modernisierung kann keine Rede sein, dieser „Mackie Messer“ ist ein Seitenschritt in die silbern oxidierte Operette. Daran ändern auch artige Einfälle und putzige Details wenig, mit denen die Regisseure Julian Crouch und Sven-Eric Bechtolf dieses Werk überladen. Solch eine Schlager-Show hat das Zeug zum kommerziellen Erfolg, für launige Sommerabende in Mörbisch wäre sie ideal. Aber im hohen Salzburg? Für die Festspiele und ihren Intendanten Bechtolf spricht wenigstens der Versuch der Wiederbelebung, denn Brecht hatte es in dieser Stadt lange Zeit nicht leicht. Von hier ging in gewisser Hinsicht 1951 der österreichische Boykott seiner Stücke aus, nachdem die Politik verhindert hatte, dass der Dramatiker auf Anregung des Komponisten Gottfried von Einem bei den Festspielen in leitender Position tätig wurde. Stattdessen kam es zum Skandal und dem Hinauswurf von Einems.

Das Brechtrevival 2015 aber hatte offenbar zu viele Köche. Weniger wäre mehr gewesen. Auch scheint die Felsenreitschule für eine doch intime Oper keine idealer Ort. Er ist keine Broadwaybühne, sondern ein breiter Weg, der das Spiel verlangsamt. Zur Überbrückung der Distanzen hat sich vor allem Crouch, der auch das Bühnenbild schuf, allerlei fantastische Effekte einfallen lassen. Es beginnt damit, dass zur Ouvertüre der Erzähler ein altes Grammofon an die Rampe schleppt. Kurz ertönt die einleitende Originalmusik. Dann übernimmt aber das Orchester, während Dutzende Mitarbeiter Crouchs übliche Accessoires auf die Bühne schleppen: große Szenen Londons, reihenweise Kulissen von Häusern und ein kleines Stadtmodell. Der Aufbau braucht Zeit – ein scharfer Kontrast zur Uraufführung von 1928. Bühnenbildner Caspar Neher hatte für Brechts Theater stilbildend einfache, halbhohe Vorhänge geschaffen und Tafeln, die das Geschehen erläutern. So konnte man blitzschnell die Szenen wechseln. In Salzburg aber: Behäbigkeit gepaart mit Bilderflut. Etwa so: Spelunken-Jenny (Sona MacDonald) singt die „Moritat von Mackie Messer“, das Haifischlied – da schwimmt als Schattenriss im Hintergrund ein Fischschwarm, verfolgt von einem Räuber, größer noch als der größtmögliche Carcharocles megalodon.

Brecht und Shakespeare unter Puppen

Augenlust ist hier Prinzip. Es wird über die Halbwelt gesungen? Im Hintergrund leuchten in den Bögen der Felsenreitschule grimmige Visagen auf, oder man sieht Schattenspiele von Mord und Brandschatzung. Alte Haudegen erinnern sich an die Soldatenzeit? Schon wird die Zeichnung eines gigantischen Elefanten entrollt und prompt abgeknallt. Beim Salomon-Song sieht man Puppen des Königs, Cleopatras und Caesars, flankiert von Shakespeare und Brecht. Auch so viel Überdeterminiertes befremdet mit der Zeit. Wenn zum Beispiel die Szene zum Haus des Bettlerkönigs Peachum (Graham F. Valentine), Macs mächtigem Rivalen, wechselt, fährt eine Wand voller Lumpen hoch. Den Bettlern fehlen hier nicht nur Glieder, sondern in einer surrealen Übersteigerung gar die Köpfe. SoHo wird zum Puppenspiel. Die Chargen hantieren mit Leitern, umständlich wird daraus das Gefängnis von Old Bailey. Am Schluss darf Polizeichef Brown (Sierk Radzei), der lange zu seinem Jugendfreund Mac gehalten hat, um ihn dann doch zweimal auf Druck der Konkurrenz zu verraten, als reitender Bote auftreten, der das finale Pardon gibt. Hier bedient er eine Art barockes Steckenpferd. Der Einfall hat Charme, Radzei spielt seine pompöse Rolle auch wirklich gut. Damit aber nicht genug, traben zudem Statisten als Ponyballett über die Bühne. Sparsam an Assoziationen ist diese Bettleroper wirklich nicht.

Von den Darstellern konnten sich MacDonald und Pascal von Wroblewsky (als Frau Peachum) behaupten, vor allem auch mit ihrem Gesang, während Mister Peachum nur die blasse Variante eines Shylock aus "Der Kaufmann von Venedig" ist. Im Mittelpunkt steht hier seine Tochter Polly; Sonja Beißwenger füllt dieses Zentrum aber nur als schmucke Operettendiva aus. Eher noch als sie hat Miriam Fussenegger Biss, als Pollys Rivalin Lucy. Und Mac, das Messer? Michael Rotschopf scheint sich als Beau aus einem galanten französischen Lustspiel in diesen Klassiker der Moderne verirrt zu haben. Ein Alpha-Tier in Londons Unterwelt? Das sieht man nicht.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.08.2015)

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