Innsbruck: Germanen und Römer, barock vereint

(c) IInnsbrucker Festwochen der Alten Musik/Rupert Larl
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Innsbrucker Festwochen der Alten Musik: Standing Ovations nach knapp fünf Stunden für Nicola Porporas „Il Germanico“ unter Alessandro De Marchi: Virtuose Gesangskunst in distanziert-barockem Bühnenambiente.

Mit einer einzigen Notenseite mit Gesangsetüden soll Nicola Porpora seinen Schüler gequält haben. Tagaus, tagein, jahrelang. Dann, heißt es, habe er ihn mit den Worten entlassen: „Du bist jetzt der größte Sänger Italiens und der ganzen Welt.“ Unter dem Künstlernamen Caffarelli wurde dieser tatsächlich zu einem Star.

Mag es auch nicht wahr sein, ist es doch gut erfunden: Akrobatische Beweglichkeit mit Läufen und Arpeggien durch alle Register, leuchtende hohe und samtige tiefe Töne, Triller und ein ganzes Arsenal weiterer Verzierungen – all das musste sich auch der hoffnungsvollste Kastrat erst durch größten Fleiß erringen. Dann aber glänzte Caffarelli, etwa als Arminio in der Oper „Il Germanico“ seines Meisters, die 1732 in Rom uraufgeführt wurde und nun von Alessandro De Marchi bei den Festwochen der Alten Musik in Innsbruck in geschickt bearbeiteter Gestalt erstmals wieder auf die Bühne geholt wurde und nach knapp fünf Stunden auf großen Jubel stieß.

Die Liebe kennt keine Fronten

Divide et impera, teile und herrsche: So lautet der Rat, den vermutlich der französische König Ludwig XI., genannt der Listige, aus dem Vorbild der alten Römer ableitete, vielleicht auch erst der Florentiner Staatstheoretiker Machiavelli. Zwietracht unter den Gegnern zu säen, um die eigene Macht zu erhalten oder gar auszuweiten, das will dem Feldherrn Germanico so ohne Weiteres allerdings nicht gelingen. Er ist Befehlshaber der römischen Besatzungsmacht jenseits von Rhein und Donau, also in Germania magna – und weil es sich um ein barockes Opernlibretto handelt, setzt sich natürlich die Liebe auch über die Fronten hinweg.

Denn von den beiden Töchtern des Germanenfürsten Segeste, der sich willig mit den neuen Machthabern arrangiert, ist eine, Ersinda, eine Beziehung mit dem Römer Cecina eingegangen. Die andere, Rosmonda, wettert als unbeugsame Gattin des widerständischen germanischen Heerführers Arminio gegen den Verrat ihres Vaters und leidet am Bruch mit ihrer Familie. Mutig zieht Arminio gegen Germanico in die Schlacht . . .

Nicola Antonio Porpora (1686–1768) ist in unseren Breiten eher durch seine späteren Jahre bekannt, durch seine Konkurrenz mit Händel in London sowie seine Zeit in Wien, wo der junge Haydn bei ihm arbeitete und von ihm „die ächten Fundamente der sezkunst“ erlernte. „Il Germanico“ (oder „Germanio in Germania“), komponiert auf ein Libretto von Niccolò Coluzzi, stammt dagegen aus dem Ende von Porporas erster, italienischer Karrierephase. Das päpstliche Verbot von Frauen auf der Bühne ging Hand in Hand mit dem Siegeszug der Kastraten – und Porpora, der Stimmen liebte wie kein zweites Musikinstrument, verlangt ihnen alles ab, was der „Canto fiorito“ an spektakulären Effekten möglich machte. An Stimmumfang und Lungenkapazität zu viel sogar für das, was heute Countertenöre und tiefe Frauenstimmen zu leisten vermögen: De Marchi hat dort und da behutsam transponiert und gekürzt. Das Ergebnis imponiert dennoch – in der Gesamtwirkung nicht nur wegen des hier federnd eleganten, dort wieder dramatisch zupackenden Spiels der Academia Montis Regalis, sondern wohl auch deshalb, weil die langen Rezitative den zwar konfliktreichen, aber zugleich etwas handlungsarmen Inhalt besser stützen, als wenn sie auf bloße Scharniere zwischen den Arien zusammengestrichen wären. Und stimmlich, weil die Besetzung unerschrocken und hochvirtuos agiert, wobei die Damen insgesamt den sehr guten Herren (darunter Hagen Matzeit als Cecina und Carlo Allemano als Segeste) gleichsam noch eine Sechzehntelfigur voraus waren: besonders Klara Ek als betörend sinnlich zürnende und leidende Rosmonda, Emilie Renard als ihre leichtherzigere Schwester Ersinda und Patricia Bardon, die dem Germanico mit ihrer fülligen Tiefe latente Gefährlichkeit verleiht.

Germanico ähnelt dem Rosenkavalier

Regisseur Alexander Schulin und sein Ausstatter Alfred Peter begegnen dieser Opulenz mit bemerkenswerter Selbstbeschränkung. Die Drehbühne zitiert mit einem Triumphbogen klassische Antike sowie Garten- und Perspektivkunst des Barock herbei, die Kostüme sind durchwegs dem 18. Jahrhundert verpflichtet: Germanico ähnelt äußerlich dem Rosenkavalier, darf dafür gestisch an den grausamen jungen King Joffrey aus „Game of Thrones“ erinnern – und findet sich zudem sowohl von Arminios Heldenmut als auch von Ersindas Reizen erotisch angezogen. Und Rosmonda schleppt fast durchwegs ihren Sohn als übergroße Kinderpuppe mit sich (erst gegen Ende wird er durch einen jungen Statisten ersetzt), als sei sie eine Reinkarnation von Parmigianinos rätselhaft-berühmter langhalsiger Madonna mit dem enormen Jesuskind. Dieses Setting reduziert den politischen Konflikt auf eine Art Bürgerkrieg, statt einen Kampf der Kulturen zu zeigen. Erst in Gefangenschaft, mit nackten Waden, abgerissenen Ärmeln und zerzauster Vokuhila-Frisur, entwickelt sich der sängerisch glaubwürdig exaltierte Arminio von David Hansen zu jenem „Barbaren“, den die brutalen Besatzer wohl gern in ihm sehen – jene Römer, denen er sich schließlich fügt, um seinen Sohn zu schützen.

Verblüffend aber, dass bei allem Koloraturenfeuerwerk das Zentrum der Partitur in den eher feinsinnig-lyrischen Arien Germanicos und Rosmondas im zweiten Akt zu finden ist: Porpora war also doch auch ein Poet.

Weitere Aufführungen: 14. und 16. 8., 18 Uhr, Tiroler Landestheater. Die 39. Innsbrucker Festwochen der Alten Musik – heuriges Motto: „Stylus Phantasticus“ – dauern bis 28. 8. Die zweite Opernproduktion gilt Lullys „Armide“ (22., 24., 26. 8.). Info: www.altemusik.at

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.08.2015)

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