Wo ist der Schmerz? Die Kaiserin und der Tod

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Heftig akklamierte »Gala für Maria Theresia« mit Valer Sabadus bei den Innsbrucker Festwochen.

„Che farò senza Euridice?“ Ja, was soll Orfeo ohne seine geliebte und nun zum zweiten Mal verlorene Frau tun? Eine schlichte, liedhafte C-Dur-Melodie über anspruchsloser Begleitung hat Christoph Willibald Gluck dem Verzweifelten da in die Kehle gelegt, bei der allein einige Vorhalte und Appogiaturen die nackte Dreiklangsbasis mit ein bisschen expressiver Rundung auskleiden. Das soll der Inbegriff der Trauer sein, fragten sich schon manche Zeitgenossen – und bis heute etliche Skeptiker. Wo ist der rasende Schmerz, wo die existenzielle Geste?

Nun: In dem Wie, da liegt der ganze Unterschied, lässt Hofmannsthal viel später die Marschallin zur Zeit Maria Theresias singen, und so wusste es auch ihr Zeitgenosse Gluck. Als er die französische Fassung der Oper einstudierte, schalt er den Sänger: „Mein Herr, das ist unbegreiflich, Sie schreien immer, wenn Sie singen sollen, und handelt es sich ein einziges Mal darum, zu schreien, dann bringen Sie es nicht zustande . . . Schreien Sie ganz einfach so schmerzvoll, als ob man Ihnen ein Bein absäge, und wenn Sie das können, dann gestalten Sie diesen Schmerz innerlich, moralisch und von Herzen kommend!“ Soll heißen: im Geiste eines Schöngesangs, der den Jammer künstlerisch überhöht.

Klage. Bei den Innsbrucker Festwochen der Alten Musik war es nun Countertenor Valer Sabadus, der Weh der Seele auch in schmucklos schöner Kantilene auszudrücken suchte – und dabei den Klagelaut nicht zuletzt in knapp gefassten Kadenzausschmückungen traf. Mochte auch die Grundierung durch die sonst feinsinnige und fallweise auch zupackende Hofkapelle München unter Rüdiger Lotter hier etwas beiläufig ausgefallen sein, geriet dieser Abschluss der ganzen Verlustszene aus dem dritten Akt von „Orfeo ed Euridice“ doch zum bewegenden Finale einer heftig akklamierten „Gala für Maria Theresia“. Dabei erwies sich der prächtige ausverkaufte Riesensaal in der Innsbrucker Hofburg zwar als allzu hallig sowie durch Temperatur und Luftfeuchtigkeit nahezu subtropisch, vom Thema her aber optimal: Lag doch Kaiser Franz I. Stephan von Lothringen hier aufgebahrt, als er 1765, ausgerechnet während der wochenlangen Hochzeitsfeierlichkeiten seines Sohnes Leopold mit Maria Ludovica von Spanien, überraschend in Innsbruck verstorben war.

Schwarz. Maria Theresia, tief getroffen, fragte sich ähnlich wie Orfeo, was sie ohne den Gatten nun machen solle – und trug fortan nur noch Schwarz. Die aktuelle Ausstellung in der Innsbrucker Hofburg – „Das Letzte im Leben“, über Sterben und Trauer seit dem Kaisertod bis zur Gegenwart – hat auch im Riesensaal ihre Spuren hinterlassen: Franz Stephans Porträt dort ist durch ein Gemälde in Barockmanier der Künstlerin Haruko Maeda ersetzt, das ein Gerippe im kaiserlichen Ornat zeigt . . .

Beim Festwochen-Galakonzert ging es freilich eher um musikalische Vorlieben und Wegbegleiter der Regentin. Gluck und seinem vielfältigen Schaffen kam da natürlich große Bedeutung zu: von einer virtuosen Arie aus der Seria „La Semiramide riconosciuta“ (Hofdichter Metastasio fand sie „vandalisch und unerträglich“) über Auszüge aus dem pittoresken Ballett „Don Juan“, das die Opernreform vorbereitet hat, bis hin zum wieder konservativen „Ezio“ und schließlich „Paride ed Helena“. Daneben standen Werke von Johann Adolph Hasse, der laut Maria Theresia „die Musik angenehmer und leichter gemacht“ habe – ein etwas zweifelhaftes Kompliment.

Dass der eindrucksvolle Abend, zu dem auch Sunhae Im als besonders bei Glucks Lyrismen erfreuliche Sopranistin ihren Teil beitrug, ausgerechnet bei einer wundersam-wehmütigen Memento-mori-Arie wie „Cadrà fra poco in cenere“ aus Hasses „Didone abbandonata“ seinen Höhepunkt erreichte, passte dann doch wieder ins Bild der habsburgisch-österreichischen Liaison mit dem Tod: Sabadus brachte seine sauber und traumhaft weich formulierten Kantilenen zum Schweben, die Hofkapelle München umspielte ihn mit zartem Staccato, Schmerz und Schönheit wurden eins.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.08.2015)

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