„Armide“: Liebeszauber und Labyrinthe vor den Mauern Jerusalems

(C) Festwochen d. Alten Musik/ R. Larl.
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Lullys „Armide“ erzählt die Geschichte einer sarazenischen Magierin, die sich in den Kreuzritter Rinaldo verliebt.

Einem Adventkalender am Heiligen Abend ähnelt der Innenhof der Theologischen Fakultät Innsbruck: Die zwei mal sechs Fenster der beiden Oberstöcke sind alle geöffnet. Aus den meisten scheint eine Schaufensterpuppe ihren starren Blick in die Ferne zu richten, aus zweien strömt Gesang. Die Vertrauten der Zauberin Armide besprechen die Lage im Kampf gegen das christliche Heer des Godefroy, also Gottfrieds von Bouillon...

Freunde und Kritiker fanden viel zu mäkeln an dem ausschweifenden, etwas konfusen Epos, aber der Erfolg gab Torquato Tasso recht: Allein für die Opernlibrettisten mehrerer Jahrhunderte entpuppte sich „La Gerusalemme liberata“ (1574) als Fundgrube. In 15-jähriger Arbeit hatte Tasso ein vor Einfällen schier überquellendes Buch geschaffen, voll mit den Abenteuern der tollkühnen Ritter auf dem ersten Kreuzzug, Liebesirrungen und -wirrungen zwischen Freund und Feind, Bekehrungsgeschichten und natürlich die Eroberung Jerusalems durch die Christen, als titelgebende „Befreiung“ der Stadt. Zu einer der dauerhaft beliebtesten Figuren wurde die sarazenische Magierin Armida, die den christlichen Helden Rinaldo gefangen setzt und töten will, sich dann aber in ihn verliebt: In Opern beispielsweise von Händel, Gluck, Haydn, Rossini, Dvořák und sogar noch Judith Weir (2005) tritt sie auf – und das Motiv vom edlen Ritter, der in die Fänge einer zauberkundigen Verführerin gerät, hat zudem auch Wagner in seinen „Parsifal“ einfließen lassen.

In Paris schufen 1686 Jean-Baptiste Lully und sein Librettist Philippe Quinault mit ihrer „Armide“ das Hauptwerk in der von ihnen entwickelten Gattung der höfisch-prunkvollen „Tragédie en musique“, einer speziellen Verbindung von Musik, Dichtung, Tanz und Bühneneffekten. Bei den Innsbrucker Festwochen der Alten Musik betonten nun die Regisseurin und Choreographin Deda Cristina Colonna und ihr Ausstatter Francesco Vitali diese Aspekte auf historisierende Weise. Während das Bühnenbild der Freilichtaufführung vor allem mit Projektionen arbeitet (Labyrinthgärten stehen für die Verwirrung der Gefühle), greift Vitali bei den Kostümen mit beiden Händen in die Barockkiste. Aus den Fenstern bewegt sich das Spiel allerdings rasch auf die einfache Hauptbühne zu ebener Erd' hinab. Dort gibt, ständig umrahmt von ihren Opfern (Schaufensterpuppen!) und den erotisch konnotierten Tänzen der Nordic Baroque Dancers, Elodie Hache mit gar nicht vibratolosem Klang eine zuletzt vor Unglück rasende Armide. Rein sängerisch müsste diese dem unsicher intonierenden Renaud von João Pedro Cabral nicht allzu sehr nachtrauern. Kernig und sicher tönen dagegen Pietro di Bianco (Hidraot) und Tomislav Lavoie (Aronte/Ubalde), auch Enguerrand de Hys sekundiert wacker als Artémidor und dänischer Ritter. Als Vorjahrspreisträgerinnen des Cesti-Gesangswettbewerbs sind Daniela Skorka (Phénice) und Miriam Albano (Sidonie) zu hören; Jeffrey Francis, auch Stimmcoach in diesem Festwochen-Format „Barockoper: jung“, absolviert einen amüsanten Miniauftritt als La Haine, der personifizierte Hass. Auf den Prolog wird verzichtet, gemeinsam mit weiteren Strichen komprimiert das den Abend auf gut zwei Stunden. Ab der Pause haben sich dann auch Les Folies françoises unter Patrick Cohën-Akenine intonationsmäßig akklimatisiert: Herzliche Begeisterung.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.08.2015)

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