Inszenierungswahn: Regisseure bringen die Oper um ihre Zukunft

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"Fidelio"; ohne Dialoge und mit grob verfälschtem Schluss bei den Festspielen, radikale Umdichtungen allenthalben im Repertoire: Neue Publikumsgenerationen sehen vor allem Theatermacher-Eitelkeiten.

Opernfreunde haben längst resigniert. Sie wissen, am Ende einer Premiere kann es zu einem Orkan an Missfallenskundgebungen kommen. Aber danach sind sie es, die mit einer Neuproduktion leben müssen. Bei Festspielen fällt das nicht so ins Gewicht, denn die inkriminierten Regie-Untaten stehen meist nur fünf, sechs Mal auf dem Spielplan und werden in der folgenden Saison nicht mehr wiederholt.

In Opernhäusern, die das ganze Jahr spielen und maximal fünf oder sechs Premieren pro Spielzeit herausbringen können, kann eine missliebige Regiearbeit mehrere Bedeutungen haben. Gilt sie einem Werk des Repertoirekanons zwischen Mozart, Verdi, Wagner, Puccini oder Richard Strauss, muss das Publikum jahre-, vielleicht jahrzehntelang mit ihr zu leben lernen. Gilt sie einem Stück, das nach langer Pause wiederbelebt wurde, stirbt dieses in der Regel sogleich wieder eines jämmerlichen Todes.

An der Wiener Staatsoper hat man das erlebt, als man nach langen Jahren der Verbannung daranging, wieder einmal eine Oper Giacomo Meyerbeers einzustudieren. Das wäre eine Bringschuld für viele Opernhäuser, deren Intendanten auch nur einen Funken historischen Bewusstseins haben. Denn Meyerbeer hat nicht von ungefähr einst Richard Wagners Neid und Eifersucht geweckt: Er war der führende Meister der großen Oper und damit der wichtigste Opernkomponist seiner Epoche.

Verarmung des Repertoires

Dass von seinen einst viel gespielten Stücken nichts, aber wirklich nichts in den Spielplänen überlebt hat, gehört zu den besten Beweisen, dass Geschmack und Vorlieben des Publikums sich ändern – wiewohl die jüngere Aufführungsgeschichte lehrt, dass immer Interesse besteht, wenn Versuche der Rückbesinnung unternommen werden. Allein, wenn dann Regisseure ans Werk gehen, die keinen wie immer gearteten Respekt vor dem Stück erkennen lassen, sondern dieses durch szenische Verballhornung desavouieren, dann beweist das, wie fadenscheinig das Bekenntnis zur Wiedereingliederung einst umjubelter Stücke ist: „Der Prophet“ ging in die Binsen und verschwand nach wenigen Reprisen wieder im Fundus.

Meyerbeer geht nicht mehr, heißt es dann von neunmalklugen Kommentatoren. Interessanterweise hat niemand behauptet, dass die „,Fledermaus‘ nicht mehr geht“, als derselbe Regisseur bei den Salzburger Festspielen zum Ausklang der Intendanz von Gerard Mortier sein gleichnamiges Spektakel in der Felsenreitschule präsentiert hat. Dieses hatte nichts mehr mit der Johann-Strauß-Operette gemein – außer die Musik, deren Wiedergabequalität damals nicht berauschend geriet, was freilich kaum einer bemerkte: Das Publikum erregte sich über die völlige Absenz des Stücks. Die Dialoge waren komplett umgeschrieben und verrieten nichts mehr von der Operettenhandlung.

Dass derlei nicht als Dokumentenfälschung gilt, sondern unter den Begriff der künstlerischen Freiheit fällt, entschieden dann die Gerichte. Der Willkür ist also Tür und Tor geöffnet. Man kann ein Stück ankündigen und dann ein völlig anderes spielen. Es wären die Intendanten gefragt, ihr Publikum vor solchen künstlerischen Betrügereien zu schützen.

Aber die warten lieber auf das Lob der deutschen Feuilletonisten und ignorieren Zuschauerproteste beharrlich. Die Eintrittspreise sind ja längst bezahlt – und wer kommt, um etwa Jonas Kaufmann als Florestan zu hören, der soll gefälligst „Fidelio“ in Kauf nehmen, in welcher Gestalt er auch immer vorgestellt wird. So geschehen bei den diesjährigen Salzburger Festspielen: Regisseur Claus Guth hat sämtliche Dialoge gestrichen – lässt also das Stück definitiv nicht spielen, sondern bietet eine pantomimische Aktion, deren Kongruenz oder Inkongruenz zur „Fidelio“-Handlung jeder Zuschauer selbst bewerten mag.

Ohren zu, und gegen Beethoven agiert

Wem die Dialoge missfallen, dem hat Walter Jens ein taugliches Mittel in die Hand gegeben, die Geschichte von Kerkermeister Rocco erzählen zu lassen. Dann bliebe immerhin die Erzählung erhalten. Das scheint aber in Fällen wie diesem gar nicht beabsichtigt: Wenn Florestan sich die Ohren zuhält, damit er den Finaljubel nicht vernehmen muss, zeigt das, wie gegen Sinn und Gehalt eines Stückes gearbeitet wird, in dem es ja Florestan selbst ist, der die Hymne auf die Gattentreue anführt: „Wer ein solches Weib errungen ...“

Die Sache wird zur Farce. Im Fall von „Fidelio“ käme wenigstens niemand auf die Idee, die Schuld an mangelnder dramaturgischer Stringenz Beethoven in die Schuhe zu schieben. Bei anderen Werken liegen die Dinge anders.

So hat man in Wien etwa nicht nur den „Propheten“ unmöglich gemacht, sondern auch Wagners „Rienzi“ oder – angesichts der Wiener Aufführungstradition besonders schlimm – Hans Pfitzners „Palestrina“. Repertoirereduktion statt Bereicherung ist die wahre Bilanz dieser Eigenmächtigkeiten. Intendanten bekommen gute Presse, das Opernleben aber wird auf längere Sicht ärmer. Und eine Generation junger Interessenten hat keine Chance, ein breites Repertoire in tauglichen Inszenierungen kennenzulernen. „Frau ohne Schatten“, fragte einst ein Teenager, „das ist doch das Stück, wo die kranke Frau im Bett liegt?“ Eine Beobachtung, die nur angesichts der jüngsten Staatsopernproduktion gemacht werden kann. Ob das Mädel noch Gelegenheit haben wird zu erkennen, dass sie einem Betrug aufgesessen ist? Es zeigt sich hie und da ja gottlob auch, dass nicht unzeitgemäß aussehen muss, was einem Stück gerecht wird: In Salzburg läuft gerade Harry Kupfers „Rosenkavalier“-Inszenierung im zweiten Jahr ...

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.08.2015)

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