Bachs transzendentale Tanzmusik

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Jubel für Yo-Yo Ma, der in Bachs Cellosuiten historische und moderne Werkzugänge verbindet.

Nicht nur die Pianisten besitzen ein „Altes Testament“ aus der Feder von Johann Sebastian Bach, wie Hans von Bülow seinerzeit das „Wohltemperierte Klavier“ nannte. Auch die Cellisten verehren in Bachs sechs Solosuiten gewissermaßen ihr barockes Allerheiligstes, seit Pablo Casals sie im 20.Jahrhundert für das moderne Repertoire wiederentdeckt und populär gemacht hat. Dabei ist die Sammlung zwar ähnlich anspruchsvoll wie das „Wohltemperierte Klavier“, aber vergleichsweise heterogen: Die umgestimmte höchste Saite in der fünften und die Verwendung eines fünfsaitigen Instruments in der sechsten Suite etwa verleihen diesen Werken über ihren eigenen musikalischen Charakter hinaus individuelle Züge. Die Ausführung auf einem modernen viersaitigen, nicht umgestimmten Instrument nivelliert zwar allerlei klangliche Unterschiede, stellt dadurch aber auch neue spieltechnische Herausforderungen.

Yo-Yo Ma, noch wenige Tage zuvor beim Salzburger Gastspiel des Boston Symphony Orchestra auch als instrumentaler Titelheld in Strauss' „Don Quixote“ zu hören, schloss nun den Reigen der Solistenkonzerte der heurigen Festspiele ab – mit Bachs Solosuiten 1, 5 und 6. Seit seiner ersten Einspielung vor über 30 Jahren hat sich Mas Zugang bedeutend weiterentwickelt und bildet dadurch auch das Aufkommen der „historisch informierten“ Aufführungspraxis ab.

Rhapsodischer, freier als früher

Legte er damals nicht nur im beliebten Prélude der eröffnenden G-Dur-Suite noch auf Gleichmäßigkeit in Rhythmus und Klang größten Wert, betont er nun die Basstöne durch Verlängerung, beschleunigt später die Sechzehntel in der Gigue beinah zu Vorschlagsnoten, verschärft à la française die Punktierungen im Prélude der c-Moll-Suite, kurz: geht mit dem Notentext rhapsodischer, freier um, lässt ihn mehr „sprechen“– und nähert sich damit aktuellen Stilkundevorstellungen an. Mit improvisatorischen Hinzufügungen spart Ma dennoch, hebt sich etwa notierte Triller für die Wiederholungen der Satzteile auf, kostet sie dann aber auf fast romantische Weise aus. Fein, wie in der c-Moll-Suite auf eine schroffe Courante die Sarabande als ganz abgeschmirgelte, ruhige Antwort folgte. In die Nähe des Feierlich-Sakralen geriet der knapp 60-Jährige nur in der allerdings transzendental anmutenden, mehrstimmigen Sarabande der D-Dur-Suite, sonst trachtete er danach, auf allerhöchstem Niveau den tänzerisch motivierten Unterhaltungswert nie ganz aus den Augen zu verlieren. Als Zugaben Verneigungen vor Pablo Casals, vor dem Fernen Osten: Standing Ovations.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 31.08.2015)

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