Salzburger Festspiele: Ringstraßenprunk und die Schrecken des Stalinismus

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Finale: Wiener und Berliner Philharmoniker mit großformatiger Symphonik von Schmidt und Schostakowitsch.

Das eine Mal stürmt das Orchester zuletzt nochmals mit triumphalem Elan die Es-Dur-Tonleiter empor: Franz Schmidts optimistische Schlussgeste aus dem Jahr 1913, also kurz vor Ende des von Eric Hobsbawm so bezeichneten „langen 19. Jahrhunderts“.

Das andere Mal aber hängen die Streicher minutenlang in einem gespenstisch leisen c-Moll-Akkord fest, dessen unterschwellige Bedrohung ein Ostinato der Celesta noch betont, das zuletzt in die „falschen“ Töne a und d ausläuft, bevor alles verlöscht: ein Ende voller Angst und Ungewissheit, das Dmitri Schostakowitsch 1936 zu Papier brachte und erst Jahrzehnte später zu hören war. Einen nachdenklicheren, „aktuelleren“ Ausklang für die Salzburger Festspiele hätte es kaum geben können.

Zwei echte symphonische Kolosse waren am Sonntag zum Finale zu erleben: vormittags die wonnig-monumentale Zweite von Franz Schmidt mit den Wiener Philharmonikern unter Semyon Bychkov, abends beim Gastspiel der Berliner Philharmoniker unter Sir Simon Rattle die Vierte von Dmitri Schostakowitsch, die vielleicht tristeste unter den Symphonien des Russen. Beide Werke sind an der Schwelle von Weltkriegen entstanden und selten auf den Programmen zu finden, könnten freilich musikalisch kaum unterschiedlicher sein. Verblüffend, was Schmidt da aus einem thematisch fast ungreifbaren, floral anmutenden Rankenwerk alles entwickelt: triumphale, blechgepanzerte Höhepunkte, in den Variationen des zweiten Satzes die Klänge einer Bläserpartita und schwärmerisch erblühende Magyarismen, im Finale kontrapunktisch verschlungene Linien und hymnischen Choralglanz à la Bruckner. Der oft gezogene Vergleich mit repräsentativen Fresken Hans Makarts erscheint so falsch nicht – vor allem dann, wenn die Wiener Philharmoniker mit strahlendem Klang gleichsam als Restaurateure die Originalfarben des opulenten Tongemäldes freilegen. Bychkov führt sie dabei mit sicherer, kundiger Hand. Noch mehr Profil und Pointierung kann sich im Lauf des September bei den nächsten Aufführungen einstellen: zunächst bei den BBC Proms, später im Wiener Konzerthaus und im Brucknerhaus Linz.

Schostakowitsch: Fast zu schön

Und doch: Im direkten Vergleich der beiden raren Riesen wirkt Schmidts Ringstraßenprunk wie eine Sphinx ohne Geheimnis. Die existenzielle Bedrohung und die Schmerzensprotokolle, die Schostakowitsch in seiner Vierten mit allerlei Clownerien und Grotesken halbherzig übertüncht und hinter bombastischen Fassaden zu verbergen sucht, diese aber so unmissverständlich in sich zusammenbrechen lässt wie sonst kaum jemals, sie entwickeln durch ihre drastische Ehrlichkeit einfach ungleich mehr Kraft. Dass Schostakowitsch, der ohnehin im Jänner 1936 auf Stalins Geheiß in der „Prawda“ erstmals offiziell angefeindet worden war, das Werk knapp vor der geplanten Uraufführung im Dezember zurückziehen musste, verwundert nicht angesichts der ungeschminkten Düsternis. Rattle ließ die Berliner da manchmal fast zu schön spielen: Der nötigen rhythmischen und klanglichen Schärfe des Werks näherten sie sich bei aller Kraftentfaltung doch immer noch von der luxuriösen Seite her, hinterließen dafür in den zarten Passagen manch tiefen, weil beklemmenden Eindruck.

Große kompositorische Fantasie, Virtuosität und Spielfreude waren bei Benjamin Brittens Bridge-Variationen zu erleben. Eine Wiederholung des Programms folgt am Samstag am ersten von zwei Abenden mit den Berlinern beim Festival in Grafenegg. Schon am Donnerstag ist dort auch Brahms' Dritte mit den Wienern unter Bychkov nachzuhören: eine denkwürdige Darstellung von majestätischer Größe, dramatischer Dringlichkeit und hinreißend gemischten Farben.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.09.2015)

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