Alexander Pereira: „Fast alle Opernhäuser produzieren zu wenig“

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Alexander Pereira, bis 2014 Intendant der Salzburger Festspiele, seither Leiter der Mailänder Scala, glaubt an eine Ausweitung des Spielplans. Dazu setzt er auf die Suche nach Sponsoren. Und auf Jugendförderung.

Die Presse: Wie hält es denn der ehemalige Salzburger Intendant einen Sommer lang ohne die Festspiele aus?

Alexander Pereira: Ich war ja in Salzburg! Als Besucher. Und ich werde immer wieder nach Salzburg kommen. Denn man trifft nirgendwo so viele Künstler am gleichen Ort zur gleichen Zeit. Außerdem habe ich mich gefreut, die Produktionen des „Trovatore“ und des „Rosenkavaliers“ noch einmal zu sehen.

Der „Rosenkavalier“ übersiedelt ja in der kommenden Spielzeit an Ihr neues Haus, die Mailänder Scala. Allerdings in einer etwas anderen Konstellation.

Ja, die Mailänder Einstudierung wird Zubin Mehta dirigieren. Er sollte ja auch die Premiere in Salzburg 2014 leiten, musste sich aber einer Operation unterziehen. Franz Welser-Möst war dann so lieb, das zu übernehmen. Ich bleibe der ursprünglichen Idee treu. Mehta hat ja, nachdem ich ihn überredet hatte, den „Rosenkavalier“ zum ersten Mal in seinem Leben dirigiert – beim Maggio Musicale in Florenz.

Ein Atout dieser umjubelten Aufführung war, dass man den „Rosenkavalier“ zum ersten Mal ungekürzt hören konnte. Wie wird das in Mailand sein?

So wie in Salzburg, ohne Streichung. Ich hatte das damals mit Welser-Möst auch für unsere Zürcher Einstudierung des Werks diskutiert. Wir haben es aber aus praktischen Gründen nicht realisiert. Mit der Verkörperung des jungen Ochs auf Lerchenau in Salzburg durch Günther Groissböck war es aber kein Stamina-Problem. Es war eine tolle Erfahrung für alle! Auch für die Richard-Strauss-Kenner.

Kurz nach Ihrem Amtsantritt in Mailand gab es – nicht zuletzt wegen der Übernahmen von Produktionen aus Salzburg – einige Verwirrung um Ihren Vertrag. Wie lang dauert denn Ihre Amtszeit nun?

Mein Vertrag geht bis Februar 2020. Das wurde schon nach den ersten vier Monaten vom Verwaltungsrat beschlossen.

Was hat ihn dazu animiert?

Meine Politik ist es, die Scala zu öffnen. Das hat sich am deutlichsten in den Kinderopern ausgedrückt, die höchst erfolgreich waren.



Das war allerdings keine extra für diesen Anlass komponierte „Kinderoper“ . . .

Es war eine auf 75 Minuten verkürzte Version von Rossinis „Cenerentola“. Sie war ein Triumph. Die Kinder waren während der eineinviertel Stunden mucksmäuschenstill, haben dann aber im Foyer ein ausgelassenes Fest gefeiert. Ich habe die Sänger gebeten, in Kostüm und Maske dabei zu sein. Sie haben Autogramme gegeben, die Kinder konnten mit dem Prinzen und dem Aschenbrödel reden und Fotos machen. Insgesamt haben wir 36.000 Menschen damit erreicht, drei Viertel davon Kinder, ein Viertel Eltern, das ist auch ein wichtiges Publikum: Die 35-Jährigen bevölkern ja nicht gerade die Opernhäuser.

Sie haben auch den Regelbetrieb der Scala ausgeweitet.

Heuer haben wir besonders viele Vorstellungen, weil wir wegen der Expo auch im Sommer spielen. Aber auch in Zukunft möchte ich während der Saison 30 Vorstellungen mehr bieten, als die Scala bisher gespielt hat. Das bedeutet circa 55.000 Besucher mehr.

Kann das Haus eine solche Mehrleistung so einfach „stemmen“?

Die Scala ist eines der bestfunktionierenden Häuser! Allein der Umgang mit Schülern, Studenten und auch älteren Leuten ist seit Jahren vorbildlich. Man gibt Eintrittskarten im Wert von etwa acht Millionen Euro pro Saison an diese Gruppen ab. Und es gibt die Akademie, an der heute 1250 Leute studieren, Musiker, Sänger, aber auch Handwerker.

Was wird sich bei der Akademie ändern?

Es wird in der kommenden Saison erstmals zu einem Zusammenwirken von Studenten der Orchesterakademie und dem Scala-Orchester kommen. Ich habe auch ermöglicht, dass die besten Musiker des Opernorchesters an der Akademie unterrichten können.

Was kann das Publikum davon mitbekommen, außer dass junge Musiker jetzt auch im Scala-Orchester mitspielen dürfen?

Wir haben ein fantastisches Projekt: Peter Stein wird mit Studenten der Akademie und Adam Fischer als musikalischem Leiter Mozarts „Zauberflöte“ erarbeiten. Im September 2016 wird Premiere sein. Zehn Aufführungen auf der großen Bühne der Scala sind geplant.

Peter Stein steht ja für Aufführungen, die sich sehr genau am Originaltext orientieren. Was dürfen wir uns da für die „Zauberflöte“ erwarten?

Stein hat darauf bestanden, dass wirklich alle Darsteller Deutsch können. Und er will tatsächlich das auf die Bühne bringen, was im originalen Textbuch von Schikaneder steht.



Da werden auch Kenner ein paar Überraschungen erleben, denke ich.

Sicher. Und dieses Projekt könnte anderen Intendanten Mut machen, sich stärker in der Jugendförderung zu engagieren.

Wie man so liest, haben aber Ihre Kollegen derzeit ganz andere Sorgen . . .

Na ja, die Situation ist nicht mehr wie vor fünf Jahren. Sie hat sich gebessert. Das Grundproblem ist nicht nur ein italienisches, es ist ein europäisches. Die Theater müssen sich durchringen zu einer Finanzierung, die zu gleichen Teilen aus Kartenverkauf, Subventionen und privater Förderung besteht. In Italien hat man zu Beginn dieses Jahres die gesetzlichen Bestimmungen geändert, sodass es jetzt für Unternehmen möglich ist, fünf Promille des Jahresumsatzes zu spenden und 65 Prozent davon von der Steuer abzuziehen. Die Auswirkungen davon machen sich bereits positiv bemerkbar.

Ist das ein Modell, das auch anderswo erfolgreich sein könnte?

Sie meinen in Österreich? Warum nicht? Hier ringt man ja seit Jahren um eine steuerliche Abschreibbarkeit! Jedenfalls kann ich die Ausweitung des Spielplans nur über Sponsorship finanzieren. Wobei man nicht vergessen darf: Nach Ferrari ist die Scala die berühmteste italienische Marke. Noch vor Armani! Vielleicht hat die Scala ein bisschen zu wenig auf ihre internationale Bedeutung geschaut.

Heißt das, dass Sie auch im Ausland nach Sponsoren suchen?

Vereine „Freunde der Scala“ sind in aller Welt in Gründung. Seit Februar 2015 ist ja jene Autonomie Realität geworden, um die schon Arturo Toscanini gekämpft hat. Die Scala und die Accademia di Santa Cecilia in Rom haben autonomen Status erreicht und nun viel größere Freiheit, sich auf dem Markt zu bewegen.

Und das Angebot zu erweitern.

Ich weiß ja auch nicht, warum ich immer an Theater gerate, die zu wenig produzieren! Fast alle Häuser produzieren heute zu wenig. Wenn man fünf Neuproduktionen pro Jahr in den eigenen Werkstätten herstellen lässt, ist man blockiert, kann immer nur dieselben Repertoirewerke herausbringen. Produzieren wir zehn Premieren, sichern wir die Arbeitsplätze der Mitarbeiter und können realisieren, was mir vorschwebt: Die Scala als wichtigstes italienischen Opernhaus hatte zuletzt keinen Bellini, nur einen Donizetti und wenig Puccini im Repertoire, von Giordano und Konsorten keine Spur. Mit mehr Premieren können wir ein internationales Theater mit typisch italienischer Prägung sein. Das sind wir der großen Tradition des Hauses, an dem immerhin schon Rossini dirigiert hat, schuldig.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.09.2015)

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