Die verzweifelte Suche nach dem fernen Klang

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Die neue Grazer Intendantin wählte zum Einstand ein Stück von Franz Schreker, das schon oft aus den Archiven geholt wurde, um rasch wieder vergessen zu werden. Wer könnte neben Puccini und Strauss bestehen?

Der ferne Klang“ von Franz Schreker eröffnet die neue Ära an der Grazer Oper. Das Stück wurde nach der Uraufführung (Frankfurt, 1913) von vielen Häusern nachgespielt. 20 Jahre später galt der Komponist in Deutschland, wo man ihn zuvor als eine Art Gegen-Richard-Strauss gefeiert hatte, als „entartet“. Der Bann, mit dem sein Schaffen belegt wurde, wollte sich auch nach 1945 nicht lösen. Erst das ausklingende 20. Jahrhundert besann sich des einstigen Erfolgskomponisten.

Zumindest gab es manchen Versuch mit Schreker-Opern auch bei prominenten Anlässen. So spielten etwa die Salzburger Festspiele „Die Gezeichneten“. Und die Wiener Staatsoper brachte 1991 eine Produktion des „Fernen Klangs“ heraus. Die brachte es freilich nicht einmal auf zehn Vorstellungen. Und es handelte sich um eine Wiener Erstaufführung. Das machte schon damals manchen Beobachter stutzig.

Ein Blick auf die Aufführungsstatistik lehrt, dass Schreker, Spross eines aus Böhmen stammenden k. k. Hof-Fotografen, in seiner österreichischen Heimat keineswegs so umjubelt war, wie die Legende erzählt. Tatsächlich hat Wien das Erfolgsstück erst ein Dreivierteljahrhundert nach seiner Uraufführung zu sehen bekommen. Und spätere Stücke konnten sich auf dem Staatsopern-Spielplan nicht durchsetzen. „Der Schatzgräber“ brachte es in der einzigen Saison, in der er auf dem Spielplan stand, auf fünf Aufführungen. An der Qualität der Darbietung konnte es nicht liegen: Franz Schalk und Clemens Krauss standen am Pult!

Musiktheater am Scheideweg

Versuche, das Schicksal der Musik Schrekers vorrangig aus dem Blickwinkel der NS-Zeit zu betrachten, enthüllen nur die halbe Wahrheit. De facto erweisen die vielen Wiederbelebungsversuche, die man in den vergangenen drei Jahrzehnten mit Schreker'schen Titeln gestartet hat, dass bei Weitem nicht alles, was einst mit großen Aplomb präsentiert wurde, die Vorschusslorbeeren wert war.

Überdies stand nicht nur Schreker, sondern seine gesamte Komponistengeneration an einem historischen Scheideweg. Die großen Opernhäuser verwandelten sich zusehends in das, was man euphemistisch als Musentempel bezeichnet: Sie wurden zu Museen. Es ist kein Zufall, dass Richard Strauss in seinem sogenannten Vermächtnis, das er 1945 seinem Vertrauten Karl Böhm zur Neuordnung der Wiener Musiktheater (Staatsoper, Volksoper und Theater an der Wien) zuspielte, von einem Museumsbetrieb sprach, bei dem eine Dauerausstellung der wichtigsten Meisterwerke von wechselnden Sonderausstellungen flankiert werden sollte.

In den Jahren um 1900 warteten die Musikfreunde noch sehnsüchtig auf Novitäten, freuten sich über einen „Rosenkavalier“, eine „Tosca“ oder „Die tote Stadt“, und waren enttäuscht, wenn ein neues Stück Schiffbruch erlitt. Längst aber galt die Mehrheit der Neuinszenierungen nicht mehr Uraufführungen, sondern konzentrierte sich auf den Repertoire-Kanon von Mozarts „Figaro“ bis zu den Opern von Verdi und Wagner. Dass es nur ein kleiner Bruchteil von zeitgenössischen Stücken schaffen würde, in die Weltrangliste aufgenommen zu werden, hat vielleicht kaum jemand geahnt, als man über einen „Schatzgräber“ oder Korngolds „Das Wunder der Heliane“ richtete. Mit der Frage, ob Stücke während der Terrorherrschaften Hitlers oder des in Kunstfragen nicht minder restriktiven Stalin erlaubt oder verboten waren, hat all das wenig zu tun.

Schön wäre es, wenn sich die Proponenten von Sonderausstellungen, um bei Strauss' Nomenklatur zu bleiben, einmal bemühten, eine Liste von Werken zu erarbeiten, die spannende Wiederbegegnungen bringen könnten. Dazu bedürfte es einer ästhetischen, vor allem einer dramaturgischen Qualitätskontrolle. Nicht alles, was einst Furore gemacht hat, hat Bestand. Die Jazz-Rhythmen in Kreneks „Jonny spielt auf“, gegen die einst die NS-Horden auf der Ringstraße protestierten, reizen heute kaum noch.

Andererseits haben einige der Opern Alexander von Zemlinskys bei jedem neuen Versuch starken Eindruck gemacht: „Die florentinische Tragödie“, „Der Zwerg“ und mehr noch „König Kandaules“, der an der Volksoper wie auch bei den Salzburger Festspielen umjubelt wurde. Hier punkten im Gegensatz zu den selbst gestrickten Libretti Schrekers auch die starken literarischen Vorlagen.

Ideen für Sonderausstellungen

Apropos: Wer über die doch eher dilettantischen psychologischen Konnotationen Schreker'scher Texte hinwegsieht, weil ihn der Zeitgeschmack interessiert, der könnte sich freilich auch einmal mit Julius Bittner auseinandersetzen, dessen Musik in vielen Fällen stark und wirkungsvoll ist, den oft krausen, banalen Handlungsverläufen zum Trotz – die er sich nicht nur mit Schreker teilt.

Auch fänden sich Titel, die sich sogar in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhundert als effektvoll entpuppt haben, d'Alberts „Tiefland“ gehört ebenso dazu wie Franz Schmidts „Notre Dame“. Von Hans Pfitzner besitzen wir überdies den „Palestrina“, der als tiefgründige Auseinandersetzung mit dem Kunstschaffen an sich zu den Werken der Dauerausstellung gehören sollte; und den Wien aufgrund einer dümmlichen Regie-Untat verloren hat. Erfolgreich waren auch Meister wie Ermanno Wolf-Ferrari oder Emil Nikolaus von Reznicek, Egon Wellesz oder der schon genannte Korngold ...

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.09.2015)

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