„Macbeth“ in der Staatsoper: Die fahlen Farben der Macht

Der Hexenchor umgarnt den träumenden Macbeth, George Petean: Christian Räth erzählt Shakespeares Drama getreulich nach Verdis Noten.
Der Hexenchor umgarnt den träumenden Macbeth, George Petean: Christian Räth erzählt Shakespeares Drama getreulich nach Verdis Noten.(c) Wiener Staatsoper/Michael Pöhn
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Wiedergutmachung an Verdis „Macbeth“ im Haus am Ring: Applaus für Christian Räths Neuinszenierung mit Tatiana Serjan und George Petean.

Der lauteste Jubel an diesem von jeglichem Widerspruch freien Premierenabend galt dem Dirigenten. Alain Altinoglu ist es gelungen, mit dem hörbar motivierten Staatsopernorchester eine Geschichte zu erzählen, spannend vom ersten bis zum letzten Ton. Feine Detailarbeit investierte der Maestro offenkundig in das für seine Zeit oft geradezu aberwitzige Kolorit, zu dem die grausigen Geschehnisse Verdi inspiriert haben. Immer wieder kombiniert er scheinbar einander widerstrebende Instrumentalfarben zu fahlen, heiseren, erstickten Klängen.

Man hört, hier regiert das Unheimliche, das Sinistre, hier tun sich die Abgründe der Seele auf. Shakespeares Geist verwandelt den Erben der italienischen Belcantisten zum ersten Meister moderner Orchestrierungstechnik. Was kühne Kombinatorik anlangt, steht Verdi dem Enfant terrible seiner Zeit, Hector Berlioz (dessen bahnbrechende Instrumentationslehre drei Jahre vor der Uraufführung des „Macbeth“ erschien), in nichts nach.

Doch hat Alain Altinoglu auch den in der Oper unabdingbaren Sinn für die große Form, für eine dramaturgische Dynamik, die mehrere Szenen zusammenhalten kann. Das zeigt sich bereits im ersten Akt: Von den melancholisch vernebelten Tönen des jäh zwischen unterschiedlichsten Stimmungen schwankenden Orchestervorspiels bis zum Entsetzensschrei des (sowohl durchschlagkräftigen als auch ausdrucksstarken) Chors angesichts des Königsmords entfaltet sich der musikalische Steigerungsbogen. Ein unausweichliches Crescendo.

Dabei bleibt Altinoglu immer treuer Partner der Sänger, verzichtet auf billige Tempoeffekte, nimmt sich Zeit und legt – auch mittels sensibler Rubati – den Teppich für die ungehinderte Entfaltung stimmlicher Gestaltungskünste.

Das jüngste Opfer der universellen Lady

Die sind eminent. Bei der weltreisenden Lady Tatiana Serjan, die mit dieser, ihrer Leib- und Magenpartie, ihr Hausdebüt feierte, mag mancher Connaisseur während des ersten Auftritts vielleicht Verve und strahlend attackierte Höhen vermissen. Doch spätestens, wenn diese mordlüsterne Sirene, angestachelt von suggestiv flackernden, insistierend kreisenden Streicherimpulsen, den Gatten im Ehebett umgarnt, entpuppt sie sich als Meisterin der Zwischentöne, der leisen, aber eindringlich fordernden Phrasen. Packend, wie sie dann während des „Trinklieds“ in der Bankettszene selbst den Boden unter den Füßen zu verlieren droht: Die Farbgebung wandelt sich zwischen erster und zweiter Strophe vom zynisch-siegesgewissen Jubel zum irritierten Versuch, die Fassade aufrechtzuerhalten.

Die flehentlichen Laute der Angst

Man kann den psychischen Verfall regelrecht „nachhören“ – von der sinnlichen Lust am Bösen zu Beginn bis zum Verlöschen in der außerordentlich differenziert gesungenen Nachtwandelszene.

Nicht das geringste Atout der Serjan ist die Beweglichkeit und Nuancierungsfähigkeit des Soprans. Koloraturen und Verzierungen bindet sie präzis, aber auch im Sinne der jeweiligen Aussage expressiv aufgeladen in den melodischen Verlauf.

George Petean, der am Premierenabend seinen allerersten Macbeth sang, hält mit: Er pariert die mit negativer Energie aufgeladenen Flüstertöne seiner krankhaft ehrgeizigen Frau mit vielfältigen, ahnungsvollen, nervösen, hie und da sogar flehentlichen Lauten. Macbeth darf in seiner angstumflorten Machtbesessenheit ja nur einmal ganz er selbst sein: Wenn er vor der Schlacht, schon gänzlich verloren, seine Seele in einer hinreißend schön gesungenen, edel phrasierten Arie preisgibt. Da gelingt Petean ein großer Moment erfüllten Verdi-Gesangs.

Entsprechend dankbar nimmt sich der Applaus aus, der naturgemäß auch Publikumsliebling Ferruccio Furlanetto (Banquo) und alle übrigen, exzellent besetzten Akteure einschließt.

Jorge de León vermag die undankbare Partie des Macduff dank seines sicher geführten, metallischstämmigen Tenors unzweifelhaft als künftige Siegerfigur zu etablieren. Und Jinxu Xiahou gelingt in der noch undankbareren Rolle des Malcolm der Coup, in der Chor-Cabaletta als zweiter Tenor rüstig und gleichwertig zu bestehen.

Das finstere Mittelalter im Heute

Dass auch die Regie Christian Räths vom Publikum diesmal mit Respekt behandelt wurde, beweist, dass man es in Wien zu schätzen weiß, wenn eine Inszenierung – statt mit schlagzeilenheischenden Verballhornungen nach dem Lob des deutschen Feuilletons zu schielen – handwerklich geschickt jene Geschichte erzählt, die vom Komponisten in Musik gesetzt wurde.

Sehr gut herausgearbeitet sind dabei die zwischenmenschlichen Beziehungen, deren irrlichternde Unsicherheiten und Zweideutigkeiten man nicht nur zu hören, sondern auch zu sehen bekommt. In den durchaus mit Geschmack choreografierten Hexenszenen hat auch der Staatsopernchor seine beachtlichen Auftritte. Die heiklen Alpträume und Visionen sind ohne Peinlichkeit in Schattenspielen oder höchst real wirkenden Erscheinungen der Opfer von Macbeths blindwütigem Treiben abgebildet.

„Macbeth“ spielt sich in Kostümen und Uniformen unserer Tage inmitten einer abweisend grauen Kulisse von Gängen, Hallen und Treppenhäusern ab, in denen wirklich nicht gut sein ist (Bühne: Gary McCann). Die Lichtregie Mark McCulloughs tut das Ihrige, die Stimmung immer wieder zu verdichten.
So stellt sich auch szenisch kein Leerlauf ein. Das Stück passiert.
Das ist in Zeiten wie diesen – und nach dem unsäglichen „Macbeth“-Flop als Schluss- und Tiefpunkt hinter einigen Verdi-Regie-Blamagen der Ära Holender – beinah ein kleines Wunder, für das man zwar gewisslich nicht mit deutschen Kritikerpreisen, aber jedenfalls mit der Möglichkeit belohnt wird, ein bedeutendes Werk im Repertoire immer wieder zu neuem Leben erwecken zu können. Zur Premiere gelang das schon ziemlich beeindruckend . . .

Weitere Aufführungen: 7., 10., 13., 17. und 21. Oktober; Livestream am 13. 10. (www.staatsoperlive.com)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.10.2015)

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