London: Eine Oper mit Zündholz

(c) Sadler's Wells
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"Biedermann und die Brandstifter", eine Oper von Šimon Voseček, feierte im Sadler's Wells eine triumphale Aufführung.

Es passiert selten, dass eine unabhängige Opernproduktion in London so einen Erfolg feiert: Die Vertonung des Max-Frisch-Klassikers „Biedermann und die Brandstifter“ durch den in Wien lebenden Komponisten Šimon Voseček wurde mit einer dreitägigen Aufführung im Sadler's Wells nicht nur auf einer der wichtigsten Bühnen der Stadt gezeigt, Werk und Darbietung fanden auch viel Anerkennung: „Es brennt wie Säure“, urteilte etwa die „Financial Times“. Tatsächlich liefern das junge Ensemble der Independent Opera (Regie: Max Höhn) und das Orchester Britten Sinfonia eine „hypnotisierende Darbietung“, wie der „Guardian“ schrieb. Noch Tage später hat der Besucher die schneidenden „Herr Biedermann“-Rufe im Ohr, mit denen das Dienstmädchen Anna (Raphaela Papadakis) den Hausherrn (Mark Le Brocq) zur Vernunft zu rufen versucht. Vergeblich.

„Blinder als blind sind die Feigen“, behauptet Biedermann, während die Brandstifter unter seinem Dach nicht nur praktisch ungestört zu Werke gehen können, sondern ihn auch noch zum Mittäter machen. Das fehlende, alles entscheidende Streichholz liefert Biedermann schließlich selbst. „Die Wahrheit ist die beste Form der Täuschung“, erklärt ihm zuvor einer der Brandstifter.

Der Klassiker von Max Frisch, einst Schulpflichtlektüre, öffnet sich vielfältigen Interpretationen. Ist es eine Metapher auf ein blindes Bürgertum, das – wie schon Lenin hoffte – „seinen Henkern noch den Strick liefert“? Oder ein Aufruf zur Wachsamkeit gegen den „Feind in unserer Mitte“? Wo verläuft die Grenze zwischen Gutherzigkeit und ihrem Missbrauch? „Unwissenheit ist keine Ausrede“, heißt es in dem Stück. „Mich hat die ungeheure Aktualität fasziniert“, sagt Voseček der „Presse“. Der 1978 in Prag geborene Komponist lebt und arbeitet heute in Wien.

Hier erlebte auch „Biedermann und die Brandstifter“ 2013 eine viel gefeierte Uraufführung an der Neuen Oper Wien, die nun der Grund für die Einladung nach London war. Der Zuspruch des kritischen britischen Publikums war gewaltig. „Wie wünschten, wie könnten mehr Aufführungen davon machen“, sagt Anna Gustafson, die Leiterin des Vereins, der sich weitgehend über private Zuwendungen von Mäzenen finanzieren muss. Es wäre zu wünschen. Denn hier stimmt alles: Inszenierung, Musik, Darstellung, Bühnenbild (das ein besonderes Lob verdient) und Stück. „Das ist der Weg zum Wahnsinn“, leuchtet ein Warnsignal während der Aufführung auf. Das Stück beschreibt den Weg dahin. Es verführt zum Lachen, das einem im Hals stecken bleibt, und es macht Angst. Vor uns selbst.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.11.2015)

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