Biedermeier in Tönen: Gar nicht biedermeierlich

SPAIN MUSIC
SPAIN MUSIC(c) EPA (JAVIER ETXEZARRETA)
  • Drucken

Der Schubert-Zyklus von Elisabeth Leonskaja im Mozartsaal hat höchst wienerisch-hintergründig begonnen.

Elisabeth Leonskaja, die wunderbare Musikantin aus Georgien, ist längst eine Wienerin geworden. Seit Ende der Siebzigerjahre lebt sie nächst dem Belvedere und hat gleich nach ihrem Absprung aus der damaligen Sowjetunion Farbe bekannt: Eine ihrer ersten Schallplatten galt den späten Klaviersonaten Schuberts. Auch ist Musikfreunden, die dabei sein durften, noch gut in Erinnerung, dass sie bei Gelegenheit mit Wonne Strauß-Walzer spielte und angelegentlich auch die Genialität des Walzerkönig-Bruders Joseph herausstrich.

Die intime Kenntnis wienerischer musikalischer Wahrheiten macht Leonskaja nun zur Botschafterin einer sehr wienspezifischen Angelegenheit: Wer, Hand aufs Herz, kennt schon die Klaviersonaten von Schubert? Nicht die letzte, große B-Dur-Sonate, die spielt man als Musterbeispiel einer wirklich ausladenden romantischen Klaviersymphonie nicht nur in Wien regelmäßig. Aber all die andern? 20 Stück, mehr oder weniger vollständig, bündelt die Leonskaja nun in einem Zyklus. Und schon der Beginn der Reihe sorgte für herzlichen Dank der vollzählig erschienenen Schubert-(und Leonskaja-)Verehrergemeinde: Schon die Kunst, über einmal sanft perlenden, dann wieder wie Pizzicato-Begleitfiguren eine weit geschwungene Melodie auszubreiten, ohne dabei allzu viel aufs Pedal steigen zu müssen, verrät die Kennerin: Der Liedmeister singt auch auf schwarzen und weißen Tasten.

Effektivität der Schlichtheit

Und er outriert niemals. Die Virtuosität, die ein Pianist für Schubert braucht, dürfte man vielleicht eine Effektivität der Schlichtheit nennen. Die beherrscht die Leonskaja perfekt. Es gerät ihr auch jedes Rubato dezent, unauffällig. Es ist da, wo es sein soll, aber niemals gemacht.

Immer nimmt die Pianistin den Erzählfaden auf und führt die Hörer mit dem Klangwanderer Schubert des Wegs, dessen Fabulierlust uns oft mir nichts, dir nichts an Abgründe geleitet, über die dann traumwandlerische Brücken zu bauen sind; das gilt, wie sich zeigt, schon für die frühesten Kompositionen. Nicht von ungefähr klingt der langsame Satz der ersten der beiden a-Moll-Sonaten wie eine Vorstufe zum Finale der späten, abgründigen großen A-Dur-Sonate. Und im Mittelsatz der allerersten E-Dur-Sonate, von der immerhin drei Sätze vollendet wurden, klingen schon Momente der späteren Impromptus an, deren Doppelbödigkeit die Leonskaja beim jungen Schubert schon mit anklingen lässt.

Nicht nur für Kenner dringend zu empfehlen. Fortsetzung: 26. Jänner.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.12.2015)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.