Donizettis Wahnsinnsszene im kaputten Wolkenkratzer

(c) APA/EPA/QUIQUE GARCIA
  • Drucken

Im Teatre del Liceu sang Juan Diego Flórez an der Seite von Elena Moşuc erstmals den Edgardo in "Lucia di Lammermoor".

Als Koproduktion mit dem Opernhaus Zürich brachte das Gran Teatre del Liceu in Barcelona Gaetano Donizettis „Lucia di Lammermoor“ heraus. Man ist versucht dazu zu sagen: leider, denn das von Paolo Fantin gestaltete Einheitsbühnenbild – es zeigt ein zerborstenes Hochhaus aus Glas und Stahl samt viel Bauschutt auf der Bühne – ließ schon zu Beginn für die Inszenierung Schlimmes befürchten. Zu allem Überfluss beschränkte sich Damiano Michielettos Regie auf die Darstellung von Brutalitäten und übertriebenen Aktionismus, von Carla Teti in unauffällige Kostüme gehüllt. Die Bungee-Jumping-Plattform auf der Hochhausruine lässt schon zu Beginn erahnen, wie Lucia in dieser Produktion sterben wird . . .

Für die rumänische Sopranistin Elena Moşuc, Ensemblemitglied der Zürcher Oper, war das keine Überraschung. Sie ist seit der Zürcher Premiere mit dieser Produktion vertraut. Die Lucia zählt zu ihren liebsten Partien. Entsprechend routiniert punktete sie auch am Premierenabend in Barcelona mit sicheren, durchaus dramatisch aufgeladenen Koloraturen. Das merkliche Vibrato in der Mittellage dürfte freilich kein gewolltes stimmliches Stilmittel gewesen sein.

Im Zentrum: Juan Diego Flórez

Neu für die Opernwelt war diesmal Edgardo: Der Debütant, Publikumsliebling Juan Diego Flórez, war denn auch der unbestrittene Mittelpunkt des Abends. Flórez, der führende Belcanto-Tenor unserer Tage, gab mehr den verzweifelnden als einen besonders heldischen Edgardo. Doch ist seine Stimme dramatischer geworden, bei Beibehaltung der allseits hoch geschätzten Vorzüge, Stimmkultur, Linienführung und natürlich absoluter Höhensicherheit. Problemlos vermochte er auch in allen dramatischen Passagen das riesige Teatre del Liceu zu füllen, im Finale des zweiten Aktes ebenso wie in der darauffolgenden Turmszene. Dabei war das Dirigat von Marco Armiliato alles andere als zurückhaltend und dezent. Überdies benötigten Dirigent, Orchester und der Chor eine ganze Szene lang, um endlich zueinanderzufinden.

Als Edgardos Gegenspieler, Enrico, beeindruckte der italienische Bariton Marco Caria mit strömenden Kantilenen von beeindruckender Höhensicherheit – etwa am Schluss der Cavatina in Szene zwei. Albert Casals als Arturo wirkte hingegen sowohl darstellerisch als auch stimmlich steif. Dafür verströmte Simon Orfila als Raimondo satte Basstöne; sehr zur Freude des Publikums war seine Szene mit Arie im zweiten Akt nicht – wie sonst meist üblich – gestrichen. Solide hielten sich Sandra Ferrández als Alisa und Jorge Rodríguez-Norton als Normanno.

„Lucia di Lammermoor“ wird in Barcelona in der Premierenbesetzung noch am 11., 14., 17., 20. und 23. Dezember wiederholt.

Juan Diego Flórez ist in dieser Spielzeit auch an der Staatsoper in zwei für Wien neuen Rollen zu erleben: als Herzog von Mantua in „Rigoletto“ (ab 22. Jänner) und als Gounods Romeo (23. 2.).

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.12.2015)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.