Ortner: „Stolz, dass wir das ganze Weihnachtsoratorium bieten“

(c) Musikverein/ Dieter Nagl
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Erwin Ortner, der jüngst für Nikolaus Harnoncourt einsprang, über die Nachfolgefrage und die von ihm begründete weihnachtliche Oratorien-Tradition.

Erwin Ortner, Gründer und Leiter des Arnold Schönberg Chors, dirigiert seit Jahren im großen Musikvereinssaal zur Adventzeit Weihnachtliches von Bach oder Händel. Jüngst war er es, der nach dem Rückzug Nikolaus Harnoncourts das geplante Bach-Konzert des Concentus musicus übernahm. Im Gespräch gibt sich Ortner bestürzt über den jähen Abgang des großen Kollegen und Lehrmeisters, zeigt sich aber auch dankbar für die langjährige Verbundenheit.

„Es gibt“, sagt Ortner, „ein paar Menschen, die einen wirklich nachhaltig prägen. Die Reihe dieser Impulsgeber ist nicht sehr lang. Nikolaus Harnoncourt war einer von den wenigen für mich. Wir sind seit 1978 vertraut miteinander, wenn man so will: in allen Fasern und Phasen des Lebens. Wir haben uns menschlich wie musikalisch-künstlerisch gut kennenlernen können. Offenbar hat er meine Arbeit geschätzt, sonst hätten wir nicht in treuer Verbundenheit so lange fast exklusiv zusammengearbeitet. Er hat mir vertraut, dass ich seine musikalischen Bilder mit dem Chor umsetze.“

Zuletzt war ein baldiger Rückzug Harnoncourts befürchtet worden: „Wenn man sieht, dass das Gegenüber älter wird, überkommt einen natürlich die Trauer. Andererseits wächst die Kraft. Man sagt sich: Wir haben einen Auftrag. Wir müssen uns klar darüber sein, dass wir das Feuer, das er weitergegeben hat, langsam übernehmen müssen, um diesen viel zitierten Mahler-Ausspruch noch einmal zu gebrauchen. Es klingt vielleicht pathetisch, ist deshalb nicht weniger wahr.“

„Weitergabe des Feuers“

Auf dem Programm des Konzertes, das unmittelbar von Harnoncourts Rückzug betroffen war, standen unter anderem zwei Bach-Kantaten, für die Ortner, wie gewohnt, den Arnold Schönberg Chor vorbereitet hatte: „Natürlich habe ich die Stücke gut gekannt. Als das Zeichen aus St. Georgen kam, war das Gefühl aber doch ambivalent. Bemerkenswert ist, dass die ,Trauerode‘, die wir ja schon vor einem Jahr, als von einem Rückzug noch keine Rede war, angesetzt hatten, diese Ambivalenz auch widerspiegelt. Das sind die Zufälle des Lebens.“

Apropos Ambivalenz: Ein Konzert, das mit Nikolaus Harnoncourt und in seinem Sinne vorbereitet wurde, aber dann von Erwin Ortner dirigiert wird, ist doch wohl ein Konzert unter der Leitung von Erwin Ortner?

„Noch einmal zur Weitergabe des Feuers: Etwas zu übernehmen, heißt ja keinesfalls, dass man kopieren soll, nachahmen wie eine Maschine. Ein guter Lehrer führt uns zur Erkenntnis. Die Erkenntnis aber muss jeder selbst haben! Das ist für mich ein Schlüsselpunkt. Man kann ja keine Kopie anfertigen: Jeder hat einen anderen Blutdruck, eine andere Persönlichkeitsstruktur.“

Mit dem Namen Ortner verbinden die Wiener Musikfreunde nun schon seit einiger Zeit die Aufführung eines passenden Oratoriums rund um den vierten Adventsonntag: Alternierend gibt es entweder das „Weihnachtsoratorium“ oder den „Messias“. Heuer ist wieder Bach an der Reihe: „Ich bin stolz“, sagt Ortner, „dass das wirklich zu einer Tradition geworden ist. Und ich bin stolz, dass wir jedesmal das ganze Weihnachtsoratorium bieten, nicht nur drei oder vier von den sechs Kantaten. Bei der ,Matthäuspassion‘ streichen wir ja auch nicht im zweiten Teil wild herum, damit es schneller vorbei ist.“

Was früher durchaus Brauch war, doch, so Ortner, „haben sich die Anschauungen sehr geändert. Ich halte es für wichtig, das ganze Oratorium zu singen. Wir fangen dafür schon um 18.30 Uhr an. Die Menschen sagen mir immer: Jetzt ist wirklich Weihnachten.“

Als Instrumentalensemble engagiert Ortner Jahr für Jahr die Lautten Compagney aus Berlin, bei dem, wie er sagt, „vielleicht wirklich ein paar Lauten mehr dabei sind als bei anderen Ensembles. Aber, Spaß beiseite, sie sind wirklich hervorragend. Und vor allem: begeistert. Der Chor und die Instrumentalisten sind wie ich immer wieder dankbar, sich mit solchen Meisterwerken beschäftigen zu dürfen, immer tiefer in sie einzudringen. Darum geht es nämlich in Wahrheit: Es gibt keine Wiederholungen, im Sinne dessen, was wir vorher über das Kopieren gesagt haben. Wir altern ja sekündlich. Es gibt daher in einem Musikerleben immer nur Premieren. Und bei den echten Meisterwerken ist es so, dass man hofft, die Lebenszeit möge ausreichen, möglichst weit in die Tiefe vorzudringen. Der Satz ,Das kennen wir schon‘ ist unzulässig; übrigens auch bei Studenten. Wenn diese mir sagen: Wir möchten etwas Neues kennenlernen, dann bringe ich alte Meisterwerke mit!“

Weihnachtsoratorium: Musikverein, 21. Dezember, 18.30 Uhr. www.musikverein.at

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.12.2015)

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