Kurt Masur: Von der Montags-Demo nach Manhattan

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Zum Tod von Kurt Masur, der, aufgewachsen unter dem Hakenkreuz, in der DDR Karriere machte und deren Niedergang als Prediger der Gewaltlosigkeit mitsteuerte – um dann Chefdirigent in New York zu werden. Er starb 88-jährig.

Da waren einmal die Montagsdemonstrationen, jene legendären Erhebungen in den letzten Tagen der DDR, als die Volkswut überzuschwappen drohte. Einer von denen, die damals zur Besonnenheit und zum Gewaltverzicht aufriefen, war Kurt Masur, der Kapellmeister des Leipziger Gewandhausorchesters. Die Musikwelt kannte ihn tatsächlich als einen Besonnenen, einen, der Maß zu halten versteht.

Freilich: Das war das Urteil einiger Kenner, die auch verfolgten, was hinter dem Eisernen Vorhang vor sich ging, wie es um die Pflege der deutschen Orchesterkultur in Zeiten des Kommunismus weiterging.

Im Herbst 1989 aber kannten den Namen Kurt Masur plötzlich nicht mehr nur die Klassik-Freunde. Er wurde zu einem weltweiten Synonym für den friedlichen Protest, für den vernünftig artikulierten Widerstand gegen eine Zwangsherrschaft, die unhaltbar geworden war und die es zu beseitigen galt. Wobei die Frage, wie gründlich der Sozialismus auszuräumen wäre, der da soeben bewiesen hatte, das er real nicht existieren konnte, für viele der montäglichen Demonstranten in der DDR offen bleiben sollte. Auch für Masur, dessen Karriere mit der Teilung Deutschlands erst richtig begonnen hatte und der nolens volens lange Jahre als Aushängeschild der ostdeutschen Kulturpolitik fungierte.

Die diktatorischen Regime seines Heimatlandes hatte Kurt Masur jedenfalls in allen Schattierungen kennengelernt. Seine Schulzeit absolvierte der aus Oberschlesien gebürtige Sohn eines Elektrikermeisters unter dem Hakenkreuz.

»Amateur«. In Breslau durfte er, der in die Fußstapfen des Vaters treten sollte, auch Musik studieren. Und weil eine Verletzung der Hand eine virtuose Pianistenkarriere unmöglich machte, die Musik aber Masurs Bestimmung war, sattelte der junge Mann um, verlegte sich aufs Kapellmeister-Amt. Zum Korrepetitor in Halle/Saale reichte das Klavierspiel durchaus.

Ein Dirigierstudium brach der durchaus eigensinnige junge Künstler zwar ab, doch waren seine Führungsqualitäten unübersehbar. Als „Amateur“, wie er sich selber gern bezeichnete, stand er vor diversen Orchestern, vor allem vor der Dresdner Philharmonie und der Komischen Oper in Berlin, ehe ihn die SED-Kulturpolitik 1970 mit einem der Spitzenposten des deutschen Kulturlebens betraute.

Gewandhaus-Kapellmeister in Leipzig, das konnte sich im Westen messen mit der Funktion des Chefdirigenten der Berliner Philharmoniker! Masur ergriff seine Chance weidlich. Mehr als 900 Konzerte hat er mit seinem Orchester weltweit absolviert. Er war eine der führenden Künstlerpersönlichkeiten seines Landes, als dieses in den Grundfesten zu wanken begann.

Handwerkerethos für New York. Dass sich der Gewandhaus-Kapellmeister auf die Seite des gewaltlosen Widerstands schlug und sein Renommee zur Beruhigung der Situation zu nutzen verstand, hat nicht unwesentlich dazu beigetragen, dass ihn beinah unmittelbar nach dem Zusammenbruch der DDR der Ruf aus New York ereilte: Aus dem wichtigsten Dirigenten des einst kommunistischen Teils Deutschlands wurde der Chefdirigent des berühmtesten US-amerikanischen Orchesters.

Die glamouröse Biografie übertüncht ein wenig die Tatsache, dass die Welt mit Kurt Masur nicht nur einen besonnenen politischen Menschen, sondern einen Musiker verliert, der seine Kunstfertigkeit, vielleicht gerade, weil er sie selbst erarbeiten und in der Praxis perfektionieren musste, hochgehalten hat und in Zeiten der Wiederbesinnung auf solide Orchester-Erziehungsarbeit den altehrwürdigen europäischen Kapellmeister-Geist in die Neue Welt trug.

Vielleicht war das sein allergrößtes Verdienst: Dass die amerikanische Klassik-Szene PR-Effekte, Glanz und Glamour zumindest kurzfristig gegen gediegenes musikalisches Handwerk zu vertauschen geneigt war.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.12.2015)

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