Iván Eröd: Kunst, ein Versuch, die Realität zu beseelen

„Ich bilde mir nicht ein, mit meiner Musik die Welt zu erlösen.“
„Ich bilde mir nicht ein, mit meiner Musik die Welt zu erlösen.“(c) APA/HANS PUNZ
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Am 2. Jänner feiert Iván Eröd seinen 80. Geburtstag; am 11. Jänner bringen die Wiener Philharmoniker erstmals ein Werk von ihm zur Uraufführung. Mit der „Presse“ sprach er über Leben und Kunst.

Die Presse: Herr Professor Eröd, auf Ihrer Website finden sich zwei Sätze von Joseph Brodsky: „Kunst ist nicht eine bessere, sondern eine andere Existenz; sie ist nicht der Versuch, der Realität zu entfliehen, sondern das Gegenteil: ein Versuch, sie zu beseelen. Sie ist der Geist, der einen Leib und Worte findet.“ Ist das ein grundsätzliches Credo von Ihnen?

Iván Eröd: Ich stehe dazu. Daraus spricht nicht die Überheblichkeit, die man oft mit Kunst verbindet, sondern eine selbstbewusste Einstellung. Man steht nicht über dem Leben, sondern neben dem Leben. Dass der Geist beseelt, ist auch etwas Wesentliches.

Was bedeutet das Komponieren für Sie?

Es ist, was ich von allen Dingen am besten kann. Vielleicht könnte ich ebenso gut Klavier spielen, aber das habe ich etwas vernachlässigt. Unterrichten kann ich auch gut, aber dazu braucht man einen Gegenstand, wie Komponieren oder Musik. Es ist nicht so, dass es im Inneren so brodelt, dass man unentwegt gezwungen ist, Noten aufs Papier zu bringen. Es ist eher so, dass man, wenn man diesem Handwerk, dieser Kunst nachgeht, ein Gebiet findet, in dem der Geist am besten walten kann. Ich bilde mir nicht ein, ein Medium zu sein oder mit meiner Musik die Welt zu erlösen, aber ich glaube, auf diesem Gebiet das Maximum bieten zu können. Ein weiterer Aspekt ist die Kommunikation: Man erwartet, dass das auch ankommt, wann und wo auch immer.

Sie haben einmal gesagt, Ihr Komponieren wurde nie durch eine Weltanschauung bestimmt und nie dadurch, was gerade Mode war. Gibt es nicht doch Vorbilder, vielleicht Ideale?

Es gibt menschliche Verhaltensweisen, die mir sehr zusagen und von denen ich viel bekommen habe. Sie kommen sowohl von bekannten großen Menschen als auch von einfachen Leuten, die mich inspiriert haben. Es gibt viele Komponisten, die mich beeinflusst haben. Mir war immer wichtig, dass Komponisten, die ich verehre, eine überdurchschnittlich gute menschliche Seite zeigen. Am nächsten liegt mir Bartók, Verdi verehre ich sehr, auch Brahms und Haydn.

Wie sind Sie zur Musik gekommen?

Fast alle um mich haben musiziert. Damit lag auf der Hand, dass auch ich Musik mache. Mit vier habe ich mithilfe meiner Mutter versucht, irgendwelche Liedchen am Klavier zu spielen, ab fünf bekam ich einen professionellen Unterricht.

In der NS-Diktatur wurden einige Ihrer Familienmitglieder verfolgt, Ihr älterer Bruder und Ihre Großeltern wurden ermordet. Die Kunst als Hoffnung für eine bessere Welt – hat das auch mitgespielt, als Sie beschlossen, Musik zu studieren?

1949 lag ich nach einem Unfall mit der Straßenbahn lange im Spital, da stellte ich mir die Frage, ob ich Musiker oder Arzt werden sollte. Ich habe damit die Frau meines Klavierprofessors, Pál Kadosa, die selbst Pianistin war, konfrontiert, und sie fragte: „Was willst du lieber werden: ein mittelmäßiger Arzt oder ein mittelmäßiger Musiker?“ Da habe ich mich für den Musiker entschieden.

Wie wichtig waren die Studien an der Budapester Ferenc-Liszt-Akademie für Sie? Sie hatten ja auch prominente Lehrer wie Zoltán Kodály.

Fachlich gab es keine Einschränkungen, man war allerdings abgeschlossen von westlichen Strömungen. Manche sagen, dass Kodály meinen Stil beeinflusst habe, ich weiß das nicht, ich habe bei ihm eine Vorlesung besucht und eine Prüfung abgelegt.

Nach dem Scheitern des Ungarn-Aufstands sind Sie nach Österreich geflüchtet und haben an der Wiener Musikuniversität Ihr Studium fortgesetzt. Ein Kulturschock?

Nein, im Jahr davor hat man in Ungarn schon etwas aus dem Westen gerochen, da habe ich intensiv mitgerochen. Noch in Ungarn habe ich die Zwölftontechnik ausprobiert, Strawinsky, Hindemith, Honegger waren uns schon ein Begriff.

Sie haben in Graz und in Wien Komposition, Kontrapunkt und Harmonielehre unterrichtet. Lässt sich Kunst überhaupt lehren? Ab wann wird Handwerk zur Kunst?

Jede Kunst hat Handwerk, dieses Handwerk kann man lehren. Wann sich das zur Kunst entwickelt, kann man nicht genau sagen.

Am 11. Jänner werden die Wiener Philharmoniker Ihr Tripelkonzert für drei Klarinetten und Orchester uraufführen. Wie ist es zu diesem Werk gekommen?

Der Soloklarinettist der Wiener Philharmoniker, Ernst Ottensamer, hat sich ein Kammermusikstück für sich und seine beiden Söhne gewünscht, daraus hat sich dieses Konzert für drei Klarinetten und Orchester entwickelt, da die Philharmoniker Interesse für dieses neue Werk zeigten. Entstanden ist es zwischen September 2014 und März 2015.

Macht es einen Unterschied, ob man ein Konzert für einen oder mehrere Solisten komponiert?

Ein Konzert für mehrere Solisten ist eine ungewöhnliche Aufgabe. Darum habe ich auch einige Zeit gezögert. Auch weil der Vater Ottensamer und seine beiden Söhne keine Bassklarinette haben wollten, sondern nur drei gleiche Klarinetten. Es ist ein klassisches Stück mit drei Sätzen, zwei raschen und einem langsamen in der Mitte. Das Publikum darf keine Überraschungen erwarten, die Solisten treten meist gruppenweise auf, wie bei einem Vivaldi- oder Bach-Konzert.

Wer Sie kennt, weiß, dass Sie immer an etwas Neuem arbeiten. Woran schreiben Sie zurzeit?

Momentan trifft das nicht zu, aber vielleicht gelingt es, etwas in die Wege zu leiten.

Was könnte das sein?

Das Schönste wäre eine Oper.

ZUR PERSON

Iván Eröd wurde am 2. Jänner 1936 in Budapest geboren. Sein Bruder und die Großeltern wurden in den Konzentrationslagern Buchenwald und Auschwitz ermordet. Von 1951 bis 1956 studierte er in Budapest. 1956 emigrierte er nach Wien, wo er bis 1975 blieb. 1960 gab er seinen ersten Soloabend als Pianist im Musikverein. Er schrieb u. a. die Oper „Die Seidenraupen“. Manche seiner Werke, etwa die „Minnesota Sinfonietta“, zeigen Jazzeinflüsse.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 31.12.2015)

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