Russische Seele, diesmal im Musikverein

Elīna Garanča
Elīna Garanča(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Elīna Garanča hinterließ bei ihrem Liederabend mit Rachmaninow-Romanzen den tiefsten Eindruck.

„Sing nicht, du Schöne“, fleht das lyrische Ich in jenem Puschkin-Gedicht, das der erst 19-jährige Sergej Rachmaninow als vierte der sechs Romanzen op. 4 veröffentlicht hat, „sing nicht die wehmütigen Gesänge Georgiens.“ Da suhlt sich die russische Seele in Heimweh nach einem früheren, verlorenen Leben. Eine sanft gekräuselte Melodie sinkt im Klavier langsam nieder, die Singstimme nimmt sie bald als schwebendes Melisma auf, alles über einem pochenden Bass, Herzschlag und Unerbittlichkeit zugleich.

Bei Elīna Garanča, nachsinnend ans Klavier gelehnt, klingt die Szene wie in Mondlicht getaucht – konzentriert und dunkel, aber doch mit exakt gezogenen Konturen. Und selbst wenn sich die Deklamation im Mittelteil zu einem dramatischen Ausbruch verdichtet, dann ist auch dieser Klagelaut aus ihrer Kehle noch nobel eingefasst. Das Nachspiel, von Malcolm Martineau mit delikater Herbheit vorgetragen, schwankt gramvoll zwischen Dur und Moll – wobei natürlich Moll in einem Arpeggio das letzte Wort behält.

Ja, die Schöne sang – und gerade im letzten Programmteil mit acht ausgewählten, durchwegs Romanzen genannten Liedern Rachmaninows hinterließ Garanča an diesem Abend den stärksten Eindruck. Bei diesen spätromantischen Aufwallungen und melancholischen Zwischentönen, den wie auf klanglichem Goldbrokat ausgebreiteten Seelenzuständen und -entblößungen schien sie ganz zu sich selbst gekommen: Hier blühte ihr kostbarer Mezzosopran zu heller, doch voluminöser Fülle auf – fulminant etwa die Steigerungen in „Sie antworteten“ (op. 21/4) und „Ich warte auf dich“ (op. 14/1).

Etwas unausgeglichen bei Brahms

Ein bisschen warten musste auch das Publikum bis zu diesen Gipfelstürmen: Die erste Hälfte des Abends mit 14 Liedern von Brahms geriet auf hohem Niveau merkwürdig unausgeglichen. Gewiss gelangen ihr auch da schon samtene, balsamische Phrasen, traf sie etwa in „Alte Liebe“ oder „Es träumte mir“ die Stimmung genau. Aber zwischendurch störte ihr gar nicht notwendiges Bemühen um satte, voluminöse Töne sowohl die saubere Intonation als auch die klare Aussprache des Textes: Vokalverfärbungen und mit zu viel Gewicht formulierte, prompt etwas zu tief rutschende Phrasen trübten das Vergnügen, am stärksten vielleicht in „Heimweh II“. Drei Duparc-Lieder ebneten nach der Pause den Weg zum russischen Höhepunkt: Nach der ausgewogen vorgetragenen Szene von „Au pays où se fait la guerre“ durfte man sich in „Extase“ aufs Schönste einlullen lassen und in „Phidylé“ den hell strahlenden Schluss genießen. Malcolm Martineau, ganz Gentleman am Klavier, erwies sich als flexible Mischung aus diskreter Stütze, Stichwortgeber und musikalischem Widerpart.

Aber: Brahms, Duparc, Rachmaninow? Ja, eine Garanča kann sich offenbar erlauben, nun im Musikverein exakt dasselbe Programm zu singen wie im April 2015 bei ihrem Solistenkonzert in der Staatsoper: Das Publikum im ausverkauften Saal erjubelte sich drei Zugaben.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.02.2016)

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