Staatsoper: So schön liebt kein zweiter Roméo

 Vom Glitzer-Girlie zur Leidenden, wie Jürgen Flimms Regie es vorschreibt: Marina Rebeka als Juliette.
Vom Glitzer-Girlie zur Leidenden, wie Jürgen Flimms Regie es vorschreibt: Marina Rebeka als Juliette.(c) Michael Poehn/Staatsoper
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In Gounods „Roméo et Juliette“ lieben und leiden erstmals Juan Diego Flórez und Marina Rebeka – zur lauten Freude des Publikums.

Oft sind es gerade die ohnehin außergewöhnlichen Stimmen, die in uns noch größere, vielleicht ungerechte oder gar unmögliche Wünsche wecken.
Da steht also der großartige Juan Diego Flórez erstmals in Wien als glaubwürdiger, weil jugendlich fescher, zwischen Draufgängertum und Schwärmerei pendelnder Roméo da und lässt die Cavatine „Ah! lève-toi, soleil“ aufblühen. Mag sein, dass Arme und Hände nur konventionelle Tenorgesten vollführen.

Was macht das schon, wenn er alle Intensität der Welt in die zärtlich modellierten Phrasen legt, mit denen er die Sonne zum Aufgang, sprich: die Geliebte zum Erscheinen auf dem Balkon bewegen will? Und vielleicht ist es ganz natürlich, seine letzten, dringlichsten Anrufungen, die Gounod in Dreiklangszerlegungen bis zum hohen H emporsteigen lässt, mit der ganzen Schallkraft seines Tenors zu untermauern – selbst wenn Marco Armiliato mit dem klangschön spielenden Staatsopernorchester darunter einen ätherischen Pianissimoteppich ausrollt. Der Jubel des (eher unruhigen) Publikums ist Flórez damit sicher.
Aber, so überlegt der Beckmesser wehmütig, wäre es nicht noch schöner und bewegender gewesen, wenn er an dieser Stelle die noch größere Beschwörungs- und Verführungskraft des Zarten, Leisen angewendet hätte? Das erinnert an die Erzählung Nicolai Geddas, er habe seinerzeit im Plattenstudio für seine erste „Carmen“-Aufnahme drei Varianten von Don Josès Blumenarie geliefert, darunter auch eine, die sich beim heiklen Anstieg zum hohen B ganz an Bizets dynamische Vorschriften gehalten hat, die ja, wie kaum je auf der Bühne zu hören ist, bis zum Pianissimo zurückgehen. Genommen wurde dann prompt die Allerweltsfassung im Forte . . .

Floréz' stets expressive Elegance

Ob es nun eine natürliche stimmliche Entwicklung abbildet oder mehr dem Willen und der Entdeckerfreude des Künstlers geschuldet ist, dass Flórez sein Repertoire um etwas schwergewichtigere Rollen des französischen Fachs erweitert hat, sei dahingestellt. Sicher ist, dass er trotz stellenweise deutlichen Kraftaufwands den Roméo mit seinem silbrig glänzenden Timbre und seiner stilistisch tadellosen, immer der Expression dienenden Elegance ausfüllt wie wohl kein Zweiter derzeit – und sich dabei auch von einem vorübergehenden Hustenreiz nicht aus der professionellen Ruhe bringen lässt. Wenn er am Ende des dritten Akts ein strahlendes hohes C interpoliert, dann geschieht das fernab von plakativem Vokalmuskelspiel, sondern als überzeugender Ausdruck von Roméos Entschlossenheit, Juliette wiederzusehen. Die mädchenhafte Marina Rebeka hat sich als Capulet-Tochter ebenfalls zum ersten Mal vom unbeschwerten Glitzer-Girlie zur liebenden, leidenden, schließlich sterbenden jungen Frau gewandelt, wie es Jürgen Flimms Regie vorschreibt. In der Höhe anfangs noch etwas flach tönend, gewann ihr biegsamer Sopran zunehmend an Rundung und Fülle; eine leichte Höhenschärfe konnte sie unter Kontrolle halten und expressiv einsetzen. An Differenzierungskunst kam sie Flórez nicht nach, vereinte sich aber mit ihm zu durchaus anmutigem Duett-Wohllaut.

Dass viel Licht auch starken Schatten bringt, war freilich nicht nur in den virtuos ersonnenen Hell-Dunkel-Spielen Patrick Woodroffes zu erleben, die statt eines herkömmlichen Bühnenbilds die Schauplätze definieren, sondern auch im übrigen Ensemble: Unter einigen müden Bekannten und etlichen blassen Rollendebütanten konnte vorerst nur Carole Wilson als neue Gertrude nachhaltig erfreuen.

Termine: 26. 2. und 1. 3. (mit Livestream).

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.02.2016)

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