Eberhard Waechter: Kind und Vater des Wiener Opern-Ensembles

Cover der Waechter-CD-Würdigung von RCA
Cover der Waechter-CD-Würdigung von RCAc Sony/BMG
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Am 9. Juli wäre der Wiener Kammersänger, der 1991 an der Seite Ioan Holenders die Direktion der Wiener Staatsoper übernommen hatte und wenig später starb, 80 Jahre alt geworden. Eine Erinnerung von Wilhelm Sinkovicz

Sein plötzlicher Tod - nach einem geselligen Mittagessen, beim Waldlauf - war ein Schock für die Musikwelt. Eberhard Waechter war an jenem 29. März 1992 erst 62. Und er hatte wenige Monate zuvor, im September 1991, sein Amt als Direktor der Wiener Staatsoper angetreten. Er war am Ziel seiner Wünsche. Denn lange Jahre hatte er davon geträumt, den Geist jenes Wiener Ensembles noch einmal zu beleben, jenes legendären Ensembles, in dem er zwischen Kalibern vom Format einer Irmgard Seefried, eines Paul Schöffler, eines Anton Dermota groß geworden war, jenes Ensembles, für das er seine internationale Karriere wenn schon nicht geopfert, so doch bescheidener gehalten hatte, als es ihm kraft seines künstlerischen Gestaltungsvermögens und seiner prächtigen, virilen Baritonstimme zugestanden wäre.
Niemand, fast niemand hat in jenen Jahren des ausgehenden 20. Jahrhunderts daran geglaubt, daß es noch einmal einem Impresario gelingen könnte, junge Sänger von bestechendem Format von einem Leben zwischen langen Aufenthalten auf Flughäfen und kurzen Gastspielen in den weltgrößten Opernhäusern weg - und wenigstens für einige Monate pro Saison an ein Stammhaus zu binden. Die Wiener Staatsoper sollte dieses Stammhaus werden, ein Haus, in dem sich jung, aufstrebende Künstler geborgen fühlen sollten, Zusammengehörigkeit genießen und Partien lernen. Das versprach Waechter der damals amtierenden österreichischen Kunstministerin. Und die, angesichts eines auf heftige Finanznöte zulavierenden Hauses, in dem nur noch teure Gastspiele, aber kein Ensemble-Gedanke mehr Platz hatten, schenkte Waechter, der seit 1987 an der Volksoper bewies, daß er ein wahrer Impresario sein konnte, Glauben - ihm, und dem einzigen Menschen im Musik-Busineß, der auch an die Realisierbarkeit des Traums glaubte, den Sänger-Agenten Ioan Holender, einen Mann, ohne den in Wien damals „nichts ging", denn er vertrat die Creme de la Creme der internationalen Opern-Stars. Und wechselte nach der heftig umstrittenen Ernennung Waechters die Fronten. Er zog als Generalsekretär in die Chefetage der Staatsoper ein, heft attackiert von Journalisten und, vor allem, Journalstinnen, die ihm nicht abnahmen, daß er sich vom gutverdiendenden Manager zum „bescheidenen" Generalsekretär gemausert haben wollte.
Ein neuer „Ring des Nibelungen" sollte die Effektivität des neuen „alten" Systems der sogenannten „Residenzverträge" unter Beweis stellen. Im ersten Jahr aber kein „Ring", gar keine Premiere - es sollte eine Saison der Reinigung, des Wiederaufbaus des durch das Semistagione-Prinzip mit ständig wechselnden Gästen allzu kärglich gewordenen Repertoires, jener Aufführungen, die zwischen den Star-Auftritten ihr Kümmerdasein führten werden. Und schon inmitten dieses ersten, des Aufbau-Jahres kam die Hiobsbotschaft von des neuen Direktors Herzversagen. Aus der Traum - zumindest für den, der seine Erfüllung so sehnsüchtig erwartet hatte. Eberhard Waechter durfte nicht mehr erleben, daß - mit vielen Einbrüchen und Durchhängern zwar, aber doch - sein Theorie sich in der Praxis als goldrichtig erweisen sollte. In einer Praxis, die Ioan Holender dann nach anfänglichen Widerständen mit eiserner Faust lenkte und ganz im Sinne des Erfinders sanft, aber doch in Richtung Praktikabilität adaptierte. Viele Entscheidungen, die Holender - ohne den auch in der neuen Funktion „nichts ging" (man holte seinen Rat bald in fast allen Kulturfragen ein) - nun eigenständig treffen sollte, hätte Waechter nie und nimmer gut geheißen, manche Inszenierung hätte unter seiner Ägide vermutlich ganz anders ausgeschaut. Doch das bleibt Spekulation.
Der Baron Waechter wird uns, das Schicksal wollte es so, nicht als Direktor, sondern als Inbegriff des treuen Ensemble-Mitglieds der Staatsoper in Erinnerung bleiben, der seinen eleganten, do getriebenen Marquis Posa, seinen imposanten, unbeugsamen Propheten Jochanaan, seinen brisanten Danton und einen charmesprühenden Eisenstein oder Danilo lieber daheim in Wien sang als irgendwo auf großen Bühnen, die, mochten sie auch Met oder Scala heißen, ihm nicht die Welt bedeuteten. Was an Schallplatten von diesem Künstler erhalten ist, gibt nur unzureichend jenes unmittelbare Erlebnis wieder, das ein Aufritt Waechters für sein Publikum bedeuten konnte. Seine plastischen Gestaltungen von Mozarts „Giovanni" oder Wagners Wolfram immerhin sind bis heute aufwühlende akustisch Begegnungen, seine hinreißend schön, wie spontan gesungene, bewegende Aufnahme der „Dichterliebe" Robert Schumanns, Dokument des raren Lied-Interpreten Waechter wäre das lohnende Projekt für eine Wiederauflage. Gerade jetzt, wo alle, die ihn noch hören durften, wohl mit einer Träne im Auge daran denken, daß der Kammersänger am 9. Juli seinen 80. Geburtstag gefeiert hätte.

((sin))

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