Hugo von Hofmannsthals und Richard Strauss' Sorgenkind "Ariadne auf Naxos" wird 100 und gehört längst zu den Selbstverständlichkeiten im Repertoire.
Es war eine der wenigen Uraufführungen von historischer Bedeutung an der Wiener Staatsoper: Richard Strauss und Hugo von Hofmannsthal präsentierten 1916 „Ariadne auf Naxos“. Für Max Reinhardt hatten sich Dichter und Komponist vier Jahre zuvor etwas Besonderes ausgedacht: In einer Neueinrichtung von Molières „Bürger als Edelmann“ sollte das obligate Schlussballett durch eine kleine Oper ersetzt werden.
Diese Kombination aus Sprech- und Musiktheater scheiterte 1912 in Stuttgart grandios. Um den Opernteil zu retten, dichtete Hofmannsthal ein Vorspiel, in dem die dramaturgischen Capricen, die ursprünglich dem Kopf des neureichen „Edelmanns“ entspringen, sinnvoll erklärt werden sollten. Just damit gelang Hofmannsthal eine amüsante Persiflage auf die Nöte des Theaterlebens nebst einem zauberhaften Porträt eines jungen Komponisten im Spannungsfeld zwischen Adoleszenz und Geniekult.
Ein Stück für den Connaisseur. Strauss bot die Grundlage für jenen musikalischen Parlando-Komödienton, den er für zukunftsträchtig hielt, danach aber nur noch im selbst gedichteten „Intermezzo“ anzuwenden versuchte. Mit dem „Ariadne“-Vorspiel hatte er mehr Glück. Es erweist sich seit der Wiener Premiere als Meisterstück und half mit, die nur 80-minütige Oper, die folgt, mit ihrer charmanten Verknüpfung von Commedia dell'Arte und griechischer Tragödie am Leben zu erhalten.
Gerade in Wien blieb „Ariadne auf Naxos“ ein Lieblingswerk für die Connaisseurs im Publikum; nicht zuletzt deshalb, weil die Mitglieder des philharmonischen Staatsopernorchesters es von Mal zu Mal wieder hörbar genießen, angesichts der ungewöhnlich kleinen Instrumentalbesetzung (nur 36 Musiker) solistisch brillieren zu können, ohne auf den groß aufrauschenden Strauss-Klang, auf den man sich ja von Anbeginn so gut verstand, verzichten zu müssen.
Bis heute ist es immer wieder faszinierend zu hören, wie rauschhaft das Kammerochester die Steigerungen der melodischen Bögen im Finale auszukosten weiß. In der ersten Vorstellung der laufenden Serie gelang das unter Cornelius Meister sogar mit einer nicht idealen Besetzung dem Bacchus zum Trotz: Gerhard Siegel, der im Vorspiel noch mit einem köstlichen Auftritt mit dem Perückenmacher sein komödiantisches Talent bewiesen hat und für den Herodes in der „Salome“ eine Idealbesetzung darstellt, war mit den lyrisch-dramatischen Ansprüchen der Götterfigur doch überfordert.
Sensationelle neue Zerbinetta. Dass ihm zur Seite mit Gun-Brit Barkmin eine geborene Salome-Interpretin die Ariadne sang, ließ die letzte halbe Stunde des Abends noch kurioser scheinen. Doch Barkmins Ariadne punktet mit dunkel leuchtenden Klängen in der Tiefe und leicht geschärften, doch strahlenden Höhen – vor allem aber versteht sie es, die Wortdeutlichkeit, die diesmal durchwegs im Sprechgesang des Vorspiels herrscht, in die großen Phrasen der Oper herüberzuretten.
Das gilt bemerkenswerterweise auch für die neue Zerbinetta aus dem Wiener Ensemble, Hila Fahima, die ein sensationelles Debüt absolvierte. Über gestochen präzisen, zu perlenden Koloraturgirlanden gebundenen Spitzentönen vergaß sie nicht auf die Komödienprägnanz beim Kokettieren mit dem exquisiten Buffo-Quartett. In dem wurde der ebenfalls neue Harlekin, Manuel Walser, mit seinem weich modellierten Couplet wie zum Primus inter pares.
Salut für Alfred Šramek. Ovationen gab es für Zerbinettas Rondo – und schon zur Pause für die subtile Charakterstudie des Komponisten durch die frischgebackene Kammersängerin Sophie Koch, der mit Norbert Ernst (Tanzmeister), Jochen Schmeckenbecher (Musiklehrer) und Peter Matić (Haushofmeister) kongeniale Partner zur Seite standen. Nicht zu vergessen Ensemble-Urgestein Alfred Šramek, der selbst aus der Minipartie des Lakaien ein Kabinettstück formt, bei dem jede Pointe sitzt: Danke!
("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.03.2016)