Staatsoper: Wenn die Zeit vergeht und gar nichts passiert

FOTOPROBE: ´TRI SESTRI´
FOTOPROBE: ´TRI SESTRI´(c) APA/HANS KLAUS TECHT (HANS KLAUS TECHT)
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Péter Eötvös dirigierte die erste Wiener Eigenproduktion seiner Erfolgsoper „Drei Schwestern“ nach Tschechow im Haus am Ring selbst. Drei junge russische Damen aus dem Ensemble brillieren in den Titelpartien.

Péter Eötvös' Opernfassung von Anton Tschechows „Drei Schwestern“ zählt zu jener Handvoll neuer Musiktheaterwerke, die nicht nur bei der Uraufführung beklatscht werden, sondern sich danach im internationalen Repertoire behaupten können. Anlässlich der ersten Wiener Eigenproduktion, in Tschechows Sprache gesungen (daher: „Tri Sestri“), zeigt das Staatsopern-Ensemble, was es kann. Schon die Besetzung der drei Schwestern ist exquisit. Angesichts der Möglichkeiten, die Titelheldinnen mit drei aus Russland gebürtigen Ensemblemitgliedern zu besetzen, entschied sich der Komponist für eine neue Balance der Stimmgewichte.

Bei der Uraufführung in Lyon waren nämlich Irina, Mascha und Olga von Countertenören verkörpert worden. Von dieser Idee einer reinen Männerbesetzung ist in der „Wiener Fassung“ nur noch die Besetzung der Natascha und der Amme Anfissa geblieben: Haus-Debütant Eric Jurenas gibt die ungeliebte Schwägerin, die sich keifend und bissig durch die Handlung bellt und vor allem der Amme (von Marcus Pelz liebenswert altersmüde verkörpert) das Leben zur Hölle macht.

Die Schwestern aber sind an der Staatsoper bildschöne Frauen, mit passend edel timbrierten Stimmen begabt. Das macht die Melancholie und Ausweglosigkeit ihrer Charaktere umso anrührender sicht- und hörbar.

Ein theatralisches Kaleidoskop

Eötvös hat Szenen der bei Tschechow chronologisch ablaufenden Handlung zu einem Kaleidoskop neu zusammengesetzt, das in drei Sequenzen die Nöte und Qualen der Personen jeweils aus der Perspektive einer Figur zeigt. Dadurch ergeben sich Déjà-vu-Erlebnisse, Wiederholungen, Variationen – aber bemerkenswerterweise niemals Redundanzen. Eötvös hält durch immer neue Klang-Arrangements das Interesse des Zuschauers und Zuhörers einen Abend lang wach. Obwohl ja schon bei Tschechow rein gar nichts passiert. Alles ist Traum, vage Erinnerung, Idee, Halbvergessenes, Einbildung vielleicht, eine Parabel der Sinnlosigkeit des Lebens, aus der es – gilt das nur für das zaristische Russland? – kein Entrinnen gibt.

Nicht für Irina, der die zarte Aida Garifullina ihren blühend schönen, in allen Lagen trotz jugendlicher Leuchtkraft schon satten, fülligen Sopran leiht. Nicht für Mascha, die Margarita Gritskova als immer wieder leidenschaftlich aufbrechende, aber in ihrem Höhenflug gleich wieder scheiternde Femme fatale zeichnet, deren großer Mezzo auch gegen die tiefste Tiefe zu nichts an Prägnanz und Ausdruckskraft einbüßt. Und auch für Olga nicht, die Ilseyar Khayrullova in nicht minder sonorer Mezzomelancholie schwelgen lässt: Auch in deren Resignation schwingt geradezu Lust an der Dekadenz mit, obwohl ihr als einziger der drei Schwestern keine eigene Sequenz gewidmet ist.

Den mittleren Akt der Oper widmet Eötvös nämlich dem Bruder Andrei (Gabriel Bermudez) und zeichnet ihn kompositorisch zunächst als geborenen Hahnrei. Die Verteidigungsrede für seine von allen ungeliebte Frau, die ihm ganz offen die Hörner aufsetzt, überwuchert ein Mahlstrom von Leidensklängen der Amme Anfissa; erst Andreis Monolog über die völlige Sinnleere, angestachelt durch das Angebot des Doktors (Norbert Ernst), sich doch schleunigst aus dem Staub zu machen, wird zur unaufhaltsam strömenden Ode an die Freudlosigkeit.

Goldrichtig besetzt auch die Werber um die Gunst der Schwestern: Boaz Daniel weckt geradezu belcantesk in Irina Hoffnungen, Clemens Unterreiner gibt als markiger Verschinin dessen Alter Ego angesichts von Mascha. Viktor Shevchenko schraubt leidenschaftliche Anträge an Irina aus tiefster Bassistentiefe in expressive Höhenlagen – hat aber ebensowenig Erfolg wie Dan Paul Dumitrescus tapsiger Kulygin bei Mascha.

Reprisenwirkungen in Eötvös' konstruktiver textlich-musikalischer Collage sichern dem Werk dezent, aber formal stringent, inneren Zusammenhalt. Klangliche Assoziationen – etwa die Zuordnung bestimmter Farben zu bestimmten Personen – sorgen quasi subkutan für hörbare Ordnung im scheinbar anarchischen Szenengeflecht.

Wobei Staatsopernorchester (in Kammerbesetzung unter der Leitung des Komponisten im Graben) und Bühnenorchester (unter Jonathan Stockhammer hinter der Bühne) den Variantenreichtum der Musik von simpler Geräuschkulisse bis zu warmen, weichen lyrischen Bögen eindrucksvoll auffächern. Die einzelnen Nummern der Partitur sind dabei klar voneinander abgesetzt. Deutliche Übergänge bilden wie Modulationen das tönende Äquivalent zu den changierenden Stimmungen des Seelendramas.

Subtile Regie im Fluss der Zeit

Regisseur Yuval Sharon ist es gelungen, die Befindlichkeit der Figuren subtil herauszuarbeiten, wobei die Zimmer, die Gartenpflanzen, das ganze Leben ständig und unaufhaltsam an den Menschen vorbeizurinnen scheinen: Esther Bialas' Bühnenbild ist ständig in Bewegung. Dass sie daran nichts ändern können, weil in ihnen selbst längst alles zum Stillstand gekommen ist, scheint der größte Schmerz der Personen der Handlung, die keine ist, weil keiner handelt.

Nur die Zeit fließt. Und auch das ist nicht ganz sicher, Einbildung vielleicht . . .

„Tri Sestri“ an der Staatsoper: 10., 13., 16. März. Am 18. auch via staatsoperlive.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.03.2016)

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