Osterfestival Tirol: Klanglicher Disput der Religionen

(C) Osterfestival Tirol
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Eine musikalische Reise in die Mongolei, Bachs Matthäuspassion mit den Wiltener Sängerknaben, Streichquartett mit Weinglas-Chor: Jubel in Innsbruck und Hall.

Hunger. Durst. Kälte. Erschöpfung. Das waren die ständigen Begleiter Wilhelm von Rubruks und seiner Reisegefährten, die im Jahre 1253 von Konstantinopel aus gen Osten aufbrachen. Ludwig IX. von Frankreich hatte den flämischen Franziskaner Wilhelm dazu auserkoren, eine Expedition zum neuen mongolischen Großkhan Möngke zu unternehmen, um diesen als Bündnispartner gegen die Sarazenen zu gewinnen. Und dann war da vielleicht auch noch das faszinierende Reich des Priesterkönigs Johannes zu lokalisieren, der dem byzantinischen Kaiser ein knappes Jahrhundert zuvor geschrieben hatte . . .

Der vor fabelhaften Details strotzende Brief war, wie man heute weiß, eine Fälschung: Umberto Eco verarbeitet das Motiv in seinem historischen Schelmenroman „Baudolino“. Wilhelm von Rubruks Reise aber hat stattgefunden. Am 27. Dezember 1253 kam er in der mongolischen Hauptstadt Karakorum an und fand ein wirtschaftlich und kulturell blühendes Zentrum des Reiches vor, geprägt durch friedliches Zusammenleben von Muslimen, Buddhisten, Christen (Nestorianer) und Angehörigen weiterer Religionen. Der neugierige Khan ordnete einen nächtlichen Disput der Glaubensrichtungen an, bei dem jeder für seine Ansicht argumentieren durfte, aber Schmähung der Kontrahenten bei Todesstrafe verboten war. In den Morgenstunden, so heißt es in Wilhelms Bericht, seien ihnen allen die Worte ausgegangen, und die Musik habe zu sprechen begonnen . . .

An diesem Moment entzündet sich die Fantasie von Bruno Bonhoure und seines Spezialistenensembles La Camera delle Lacrime. In einem Konzert mit knappen Kommentaren und wohldosierten Theaterelementen versuchen sie, Wilhelms Reise und den Zusammenklang der Religionen nachzuempfinden und musikalisch lebendig zu machen: mit Gregorianik, buddhistischen, mongolischen und Sufi-Gesängen voll meditativer Ostinati, begleitet u. a. von Gambe, chinesischer Röhrenspießlaute, persischer Flöte, Dudelsack, Drehleier und viel malerisch eingesetzter Perkussion. So verbanden sich am Höhepunkt in widerstreitender Eintracht etwa ein „Vexilla regis“ mit dem „Allahu akbar“. Dass dabei insgesamt mehr Fragen offenblieben als beantwortet wurden, liegt in der Natur der Sache: Immerhin gab es auch damals in Karakorum keinen „Sieger“, und schon gar nicht ließ sich der Großkhan davon überzeugen, gegen die Sarazenen in Jerusalem Krieg zu führen. Die Szene passte aber perfekt ins Programm des Osterfestivals Tirol, das sich als Ort der Suche und der Begegnung künstlerischer wie spiritueller Wege versteht. Die Begeisterung im Salzlager Hall war groß.

Fuentes, Bartók, Schönberg

Am Gründonnerstag schon stand dort eine ungewöhnliche Uraufführung auf dem Programm: Beim etwa halbstündigen Stück „Glass Distortion“ von Arturo Fuentes waren nicht nur Streichquartett und Elektronik, sondern auch knapp zwei Dutzend Weingläser am Werk, zum Schwingen gebracht oder mit Fingernägeln geklopft. Das Woher und Wohin des Ganzen lag im Dunkeln, das lenkte die Aufmerksamkeit auf die im Fluss befindlichen klanglichen Aggregatzustände, die wechselnden Verhältnisse zwischen den filigran-geräuschhaften Streichern, der Elektronik und den Glasklängen. Noch mehr als mit Bartóks 5. Quartett begeisterte das Quatuor Diotima schließlich mit Schönbergs Erstlingswerk der Gattung, in dem es dramatischen Impetus, wunderbar zarte Farben und gespannte Ruhe zu einer ebenso delikaten wie fesselnden Interpretation verband.

Auf ganz eigene Weise fesselte das Karfreitagskonzert im Innsbrucker Congress. Waren am Palmsonntag Frieder Bernius mit Kammerchor und Barockorchester Stuttgart für Bachs Johannespassion aufgeboten, stellten sich nun die heimischen, groß besetzten Wiltener Sängerknaben mit der Tiroler Academia Jacobus Stainer unter der Leitung von Johannes Stecher der Herausforderung durch Bachs Matthäuspassion. Angeführt vom hellstimmig-präzisen, zum Teil fadenfein modellierenden Bernhard Berchtold als Evangelisten und Daniel Schmutzhard als jugendlichem Jesus, bündelten sich die Kräfte der hoch motivierten Kollektive (mit sieben Knaben in den Sopran- und Altpartien) immer wieder zu eindrucksvollen Momenten.

Die gab es auch bei Tanztheaterproduktionen: „Sacré Printemps!“ von Aïcha M'Barek und Hafiz Dhaou über den (Arabischen) Frühling war kraftvolle tänzerische Kammermusik, „Speak Low If You Speak Love“ von Wim Vandekeybus war sozusagen das symphonische Pendant mit hohem Anspruch (und kleinen Längen) über Wege und Irrwege der Liebe, Pathos und Ironie inbegriffen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.03.2016)

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