„Capriccio“: Aufgewühlt

Harmonie. Tatjana Gürbaca, Maria Bengtsson (r.) ringen mit Strauss.
Harmonie. Tatjana Gürbaca, Maria Bengtsson (r.) ringen mit Strauss.(c) Katharina Fröschl-Roßboth
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Regisseurin Tatjana Gürbaca und Sopranistin Maria
Bengtsson über die schwere Zeit hinter „Capriccio“ von
Richard Strauss, bald im Theater an der Wien zu sehen.
Interview :

Eine Frau kann sich nicht entscheiden, ob die Worte wichtiger sind oder die Musik und welcher von
zwei Männern, der Komponist oder der Dichter, ihr sympathischer ist. „Capriccio“ von Richard Strauss mischt viele Stile und ist sein musikalisches Testament. Strauss’ Heldin, die Gräfin, ist weltmüde und kennt
die Menschen: „Das Schreckliche und das Schöne lastet auf ihren Schultern“, sagt die schwedische Sopranistin Maria Bengtsson, die auch Strauss’ Marschallin und die Daphne gesungen hat.

Richard Strauss’ „Capriccio“ wurde in finsteren Zeiten uraufgeführt: mitten im Zweiten Weltkrieg, 1942, in München.
Tatjana Gürbaca: „Capriccio“ ist ein Stück darüber, wie Menschen zwischen Kunst und Krieg hin- und hergerissen sind. Sie haben eine große Sehnsucht nach Normalität. 1942 war der Zweite Weltkrieg voll im Gang, Millionen Juden wurden ins KZ deportiert und vergast, 1943 war die Schlacht von Stalingrad.


Es ist überraschend, dass Strauss und seine Librettisten, da-runter Stefan Zweig, der 1934 emigrierte und 1942 in Brasilien den Freitod wählte, in dieser katastrophalen Epoche ein derart retrospektives, um nicht zu sagen eskapistisches Werk schufen.
Gürbaca: Auch wir sitzen heute wieder hier in Europa auf unserer Eisscholle, hier im Theater an der Wien, und machen uns Gedanken, wie man „Capriccio“ inszenieren soll.
Maria Bengtsson: Während im Mittelmeer täglich Kinder ertrinken.


Kann man den Zweiten Weltkrieg wirklich mit der Gegenwart vergleichen?
Gürbaca: Es gibt Parallelen. Geschichte verläuft nicht als ständiger Fortschritt, sondern in Wellen. Bestimmte Situationen sind archetypisch, wir erleben sie immer wieder. Das ist auch der Grund, warum wir diese Stücke erzählen, weil so vieles drinsteckt, was unbewältigt geblieben ist beziehungsweise was bis heute nicht gut läuft. Ich finde nicht, dass Oper oder diese Oper eskapistisch ist. Sie ist auch eine Art Psychotherapie oder Familienaufstellung. Mich interessieren die Verhältnisse zwischen den Figuren immer sehr, denn da gibt es Dinge, die immer gleich sind, vor 200  Jahren und in 200  Jahren. Ich versuche, in meine Inszenierungen etwas aus der Zeit hineinzuholen, in der die Werke entstanden sind, und auch aus der Gegenwart.


Frau Bengtsson, welche Vorstellungen haben Sie von der Gräfin, die Sie spielen?
Bengtsson: Die Gräfin kann sich nicht entscheiden, und sie soll das auch nicht tun. Die Frage, Musik oder Worte beziehungsweise welcher der beiden Männer ihr Favorit ist, bleibt offen. In Tatjanas Inszenierung stellen wir das außerdem so dar, dass die Rettung in der Musik und in der Kunst liegt. Trotzdem bleibt die Inszenierung nicht auf die Kunst beschränkt, sondern das, was wir erleben, spielt mit hinein, diese schwierige Zeit der Flüchtlingskrise. Ich habe mich schon die letzten eineinhalb Jahre mit dem Werk beschäftigt.


Ist die Gräfin eine schwere Partie?
Bengtsson: Ich finde, dass meine Stimme sehr gut für Richard Strauss geeignet ist. Ich fühle mich sehr zu Hause und wohl in den wunderbaren Legato-Phrasen und dem Parlando. „Capriccio“ ist auch ein Konversationsstück mit sehr viel Dialog. Trotzdem fällt mir diese Rolle weniger leicht als die Marschallin oder die Daphne. Ich glaube, es sind die Harmonien unter der Sprache. Wir Sänger sind manchmal komplett in einer anderen Harmonie als das Orchester, und diese beiden Elemente muss man zusammenfügen.
Stimmt. Mitunter illustriert Musik den Text schräg.
Gürbaca: Das Werk ist musikalisch sehr fortgeschritten. Der Titel „Capriccio“ verweist darauf. In der Malerei bedeutet das Wort, dass Denkmäler und Bauten zusammen abgebildet werden, die gar nicht zusammengehören, und der Maler fügt dann noch etwas Ausgedachtes dazu. Giovanni Battista Piranesi hat im 18.  Jahrhundert antike Ansichten von Rom auf diese Weise dargestellt. „Capriccio“ ist eine Art Collage, eine Spielerei. Das beginnt bei Richard Strauss schon damit, dass es statt einer Ouvertüre ein Sextett gibt. Strauss zitiert eigene Werke, etwa „Salome“. Manche Stellen klingen wie Brahms oder ein Liederabend. Zwischendurch gibt es Momente, die sehr modern sind und auf Zukünftiges verweisen.


„Capriccio“ ist ein Spätwerk. Strauss starb 1949.
Gürbaca: Die Oper ist ein Rückblick auf seine Kompositionen, ein musikalisches Testament.
Bengtsson: Die Gräfin wirkt weltmüde. Das Schreckliche und das Schöne lastet auf ihren Schultern. Sie schaut zurück und nach vorn.
Gürbaca: Sie ist wie die Kundry in Wagners „Parsifal“, die seit vielen Tausenden von Jahren schon da war, die Menschen gut kennt – und mitfühlend beobachtet, wie sie sich abquälen. Ich finde es schön, dass Maria so viele emotionale Farben für die Gräfin hat, die Trauer, das Strahlen, die Sinnlichkeit. Diese Figur sieht man meistens unterkühlt und beherrscht. Maria zeigt auch ihre dunklen Träume, wie sie im tiefsten Innern aufgewühlt von allem ist, was da auf der Bühne passiert.


Wie sind Sie zur Musik gekommen?
Bengtsson: Mein Vater ist Trompeter. Er hat unter anderem mit dem belgischen Dirigenten Philipp Herreweghe musiziert, einem wichtigen Protagonisten der historischen Aufführungspraxis. Mein Vater hat früh entdeckt, dass ich musikalisch bin. Ich habe gesungen, bevor ich sprechen konnte. Ich war in der musikalischen Früherziehung, im Kinderchor. Bei meiner kleinen Tochter ist es genauso, sie läuft seit einigen Wochen, sie kann noch nicht sprechen, aber sie singt und tanzt. In der Hochschule in Freiburg, wo ich auch meinen Mann kennengelernt habe, war ich in einer Jazzband. Aber die Gesangslehrerin hat gesagt, ich müsse mich entscheiden. Das hab’ ich dann auch getan.
Gürbaca: Meine Mutter ist eine Puccini-Süchtige. Sie hat schon Opern gehört, als sie schwanger war. Und ich bilde mir ein, mich daran zu erinnern. In meiner Familie ist sehr viel musiziert worden. Ich spiele mehrere Instrumente, Klavier, Cello und Kontrabass. Ich hab’ auch viel Jazz gemacht und in einer Klezmer- und einer Tambour-Kapelle gespielt.


Wie fiel dann die Entscheidung für Opernregie?
Gürbaca: Ich war an einem musischen Gymnasium. Ein Musiklehrer brachte mich zur Statisterie der Deutschen Oper in Berlin, als ich 15 Jahre alt war. Ich hörte von einem Studiengang für Opernregie, sehr wenige Studenten wurden aufgenommen. Ich habe in Berlin studiert. Wichtige Lehrerinnen für mich waren Ruth Berghaus und Christine Mielitz.


Viele Opernregisseurinnen gibt es ja nicht.
Gürbaca: Als Regisseurin ist es schwieriger, man steht vor großen Apparaten. Man spürt, dass sich die Leute fragen: „Kann die das?“ Regie lernt man ja nicht in den eigenen vier Wänden, man studiert zwar, aber das Entscheidende ist, wie man sich auf der Bühne bewährt. Inzwischen habe ich über 50 Produktionen hinter mich gebracht und kann mit bestimmten Situationen viel besser umgehen. Ich bin jetzt 43 und finde, älter zu werden ist etwas Wunderbares.
Bengtsson: Man wird mit der Zeit entspannter. Andererseits rücken jüngere Sängerinnen nach. Ich bin froh, dass ich nicht im Mozartfach geblieben bin, sondern eben mit Richard Strauss den Schritt in die nächste Rollengeneration getan habe.

Tipp

„Capriccio“ von Richard Strauss, Bertrand de Billy dirigiert die Oper im Theater an der Wien. Mit Maria Bengtsson (Gräfin), André Schuen (Graf), Lars Woldt (Theaterdirektor), Vorstellungen: 18., 21., 23., 25., 29.  April.

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