Turandot: Brot und Spiele stützen ausgehöhlte Mächte

FOTOPROBE 'TURANDOT'
FOTOPROBE 'TURANDOT'WIENER STAATSOPER/MICHAEL PÖHN
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Marco-Arturo Marelli sicherte mit „Turandot“ einer weiteren Oper den soliden Bestand im Wiener Repertoire. Die Prinzessin scheint nun weniger „von Eis umgürtet“ als fragil.

Es gibt in jeder Generation bestenfalls eine Handvoll international konkurrenzfähiger Darstellerinnen der Turandot. In unseren Tagen ist Lise Lindstrom die meistbeschäftigte. Nach Scala, MET und Covent Garden präsentierte sie ihr Charakterporträt dieser von Libretto-Natur aus nicht eben sympathischen Figur in Wien – und hat es unter der Führung Marco Arturo Marellis wohl auch ein wenig modifiziert.

Die neue Wiener Turandot entfernt sich vom Klischee der eiskalten Wettbewerbsmoderatorin. Es bleibt freilich dabei: Wer ihre Fragen nicht beantworten kann, wird einen Kopf kürzer gemacht. Drei Minister präparieren dann den Schädel des Delinquenten. Der Regisseur holt mit den – von einem weißen Clown (Josef Borbely) angeheizten – komödiantischen Aktionen des prägnanten Trios (Gabriel Bermudez, Carlos Osuna, Norbert Ernst) viel vom Commedia-dell'Arte-Geist des originalen „Turandot“-Sujets von Gozzi ins Melodramma zurück.

Auch spürt er in einer Rahmenhandlung den Vorbildern für die Hauptfiguren in Puccinis Privatleben nach. Nicht zuletzt dem für die liebreizende Sklavin Liu, die Anita Hartig an der Seite des liebenswerten Alten Timur von Dan Paul Dumitrescu zu einem seelenvollen, ganz heutigen Menschenbild formt. Sie tötet sich zuletzt mit jenem Dolch, den Turandot im Mittelakt, wenn auch zögerlich, gegen sich selbst zückt.

Alles fürs sensationslüsterne Publikum

Die Prinzessin ist diesmal keineswegs die Spielmacherin. Offenbar hält sie eher widerwillig den grausigen Schein aufrecht. Dem Chor in Gestalt des zu allen Zeiten und Kulturen gleich schaulustig-sensationsgierigen Publikums bietet man Sektempfänge inklusive Hinrichtungen der Quiz-Kandidaten. Die greise Symbolfigur einer offenkundig längst hohl gewordenen Herrschaft wird auf dem Rollstuhl hereingeschoben: Bei Heinz Zedniks Erscheinen werden freilich die Fähnchen geschwungen. Offenbar funktioniert der Repressionsapparat im Hintergrund noch ziemlich gut.

Die Diskrepanz zwischen zittriger Herrscherfigur und strammer Haltung im Fußvolk ist einer der packenden Momente in Marellis Personenführung, die im Übrigen die Geschichte entwickelt, wie sie im Opernführer steht. Mit der Besonderheit, dass Turandot schon im ersten Moment angesichts des „fremden Prinzen“ in Gestalt von Yusif Eyvazov Feuer zu fangen scheint.

Die Entpuppung menschlicher Zuneigung macht dann Franco Alfanos handwerklich gelungene Ergänzung von Puccinis unvollendet hinterlassenem Finale zum klug gesteigerten Spannungsbogen; kraftvolle, höhensichere vokale Entladungen von Prinz und Prinzessin inbegriffen. An Eyvazovs nicht eben sensibel geführtem, aber frischem, heldischem Tenor beeindruckt vor allem die Unerschrockenheit, die ihn zweimal ohne Beeinträchtigung bis zum hohen C führt. Dass man „Non piangere Liu“ schon lyrischer gehört hat, stimmt, aber meist von Interpreten, die in der Rätselszene dann nicht annähernd jene Energie frei werden ließen, mit der Eyvazov die Inquisitionsattacken pariert.

Der Sopran der Lindstrom klingt auch im Furor schlank und klar bis in höchste Höhen. Dem jugendlichen Timbre zum Trotz übertönt sie mühelos auch orchestrale Sturmfluten, die Gustavo Dudamel entfesselt.

Dissonanzen wie bei Strawinsky

„Turandot“, das ist oft bemerkt worden, klingt auch nach Strawinsky – etwa in den dissonanten Akkordballungen am Beginn des Mittelakts. Dudamel streicht das Wörtlein „auch“ und hält sich an das Moderne im Klangbild. Der Melodiker Puccini, der Meister subtil gemixter Klangfarben, kommt an diesem Abend zu kurz.

Der Animator Dudamel freilich putscht auch die effektvollen Chöre kräftig auf. Die klingen durch die Bank überwältigend. Oft sind sie sogar rhythmisch exakt mit dem Orchester abgestimmt.

Ein paar Buhrufe zuletzt, viel Jubel vor allem um Anita Hartig und freundlicher Applaus für den Wien-Debütanten Eyvazov sowie für den Regisseur und seine Kostümbildnerin Dagmar Niefind, die wieder einmal eine Arbeit geliefert haben, die der Staatsoper auf einige Jahre eine solide Grundlage für Repertoire-Aufführungen bietet, gewiss auch bewegendere als diese Premiere . . .

Reprisen: 1., 5., 8. und 12. Mai

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.04.2016)

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