„Theodora“: Ein fataler Irrtum zum Auftakt

(c) APA (Barbara Gindl)
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Salzburger Festspiele. Händels „Theodora“: Sängerfest in sinnlosem Theaterrahmen.

Da sind einmal die Duette. Christine Schäfer und Bejun Mehta schwelgen in erlesener Vokalharmonie. Solche Vollkommenheit gemeinsamer Phrasierung zählt zu den Rarissima im Opernleben. Es ist vielleicht nicht untypisch, dass gerade Künstler, die ihr Stilgefühl in Zeiten der Wiederentdeckung des „fernen Originalklangs“ geschult haben, sich zu solchen artistischen Höhen aufzuschwingen vermögen. In den Solonummern lässt sich nachempfinden, wie feinsinnig beide die Kunst der farblichen Registrierung beherrschen, wie sie zwischen Gradlinigkeit und Vibrato differenzieren, Koloraturen modellieren, dass trotz geschmeidiger Melodiebildung jeder einzelne Ton klar zu orten ist.

Als Zuwaag' noch die pure Schönheit der Stimmen, ein Sopran, glasklar und ebenmäßig strömend, ein Counter, der ahnen lässt, was Musikfreunde im 18.Jahrhundert an Kastratenstimmen fasziniert haben mag, kein gequetschtes Falsettgeheule, sondern weich fließende, wohltimbrierte Kantilenen.

Barockbelcanto, vorbildlich

Allerhöchste Ansprüche an die Gesangskunst können also heutzutage wieder erfüllt werden; zumindest in der Händel-Interpretation. Nicht auszudenken, wenn derartige Disziplin, gepaart mit Expressivität, als Trend der Zeit demnächst in Richtung Donizetti, Bellini, Verdi gar überschwappt...

Im Falle von Händels spätem Oratorium „Theodora“, das von einem Paar handelt, das mutig der Christenverfolgung trotzt und seinem Glauben treu bleibt, ergab das ein Fest subtiler Vokalartistik, in dem sich mit Bernarda Fink in der Partie der um Theodora besorgten Freundin Irene noch eine ebenbürtige Stilistin fand: Die Verhaltenheit und Konzentration ihres Singens führt den Hörer auf ganz natürliche Weise in die Gefilde jener Introvertiertheit, die Händel mit seiner subtil nuancierten Musik beschwört. In „Theodora“ ist nichts von barocker Zelebrationspracht, die lebensfreudig-bacchantischen Auslassungen der Heiden ausgenommen, die der Salzburger Bach-Chor so mitreißend singt, wie er die Gebete der Christen in ihrem heimlichen Katakombengeist einfängt. Da herrscht dann auch optisch Stillstand. Händel beschreibt die Seelenregungen und -qualen seiner Helden, nichts sonst.

Das versucht Regisseur Christof Loy gar nicht zu konterkarieren. Er schafft den musikalischen Bildern vor einem riesigen, irreal multiplizierten Orgelprospekt einen Rahmen. Wozu ein Oratorium inszeniert werden muss, hat an diesem Premierenabend wahrscheinlich niemand herausgefunden.

Eher schon hat man bedauert, dass die Riesenbühne des Großen Festspielhauses viel von der Musik verschluckt, auch die an sich begrüßenswerten Versuche des Tenors Joseph Kaiser – der als Septimus zwischen Freundschaft und Pflichterfüllung schwankt–, seine durchaus feinfühligen Phrasierungskünste auch in Pianissimo-Regionen zurückzunehmen.

Ein Orgelkonzert als „Aufreger“

Dabei verfügt Kaiser über die nötige Agilität, um Händels vertrackte Melodik akkurat zu ziselieren, was vom eher al fresco singenden römischen Statthalter Johannes Martin Kränzles nicht behauptet werden kann: Ihm liegt die Partie des Valens zu tief – wie ein Beweis dessen klang das kühn improvisierte hohe G in der Eingangsarie zu Teil II.

Man spielt „Theodora“ in der letzten Version, die Händel von seinem zu seinen Lebzeiten völlig erfolglosen Werk hergestellt hat – gottlob mit einer Ausnahme: Christina Schäfer darf in der Kerkerszene beide Arien, auch das bewegende fis-Moll-Klagelied singen. Die retardierende Szene zwischen Irene und Theodora bleibt fort. Stattdessen lässt Loy das wackere – zum Teil farbig-ausdrucksvoll aufspielende – Freiburger Barockorchester unter Ivor Bolton ein Orgelkonzert einschieben (James McVinnie musiziert das Solo elegant). Hier und nur hier kann der Regisseur pantomimisch einen (während der Ouvertüre kurz angedeuteten) Theaterkonflikt zwischen dem Statthalter und der christlichen Märtyrerin suggerieren. Der kommt nicht vor in jenem Stück, das im Großen Festspielhaus am falschen Platz ist.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.07.2009)

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