Boston Symphony enttäuschte

GERMANY MUSIC
GERMANY MUSICAPA/EPA/JAN WOITAS
  • Drucken

Beim ersten Wien-Gastspiel unter Andris Nelsons ließ besonders die Mahler-Interpretation zu wünschen übrig.

Das Boston Symphony Orchestra zählt mit den Orchestern von Chicago, Cleveland, New York und Philadelphia zu den Big Five. Aber können nicht auch andere US-Orchester ebensolche Qualität bieten, etwa das Pittsburgh Symphony Orchestra? Übernächste Woche, nach dessen Gastspiel im Musikverein, wird man es wissen.

Boston Symphony, zum ersten Mal unter seinem seit zwei Jahren amtierenden Musikdirektor Andris Nelsons im Goldenen Saal zu Gast, enttäuschte diesmal jedenfalls. Dabei hatte es vielversprechend begonnen: mit einer mit viel Verve präsentierten Suite aus Schostakowitschs „Hamlet“-Bühnenmusik, bei der man sich nur manche Passage delikater gewünscht hätte.

Dass Nelsons auch Opernerfahrung besitzt – im Sommer wird er in Bayreuth einen neuen „Parsifal“ dirigieren –, zeigte er bei einem Rachmaninow-Lied und der Briefszene der Tatjana aus Tschaikowskys „Eugen Onegin“. Seine Gattin Kristine Opolais gestaltete die Rolle emphatisch, suggerierte mit ihrer Gestik immer wieder die fehlende Bühne und brachte souveräne Spitzentöne.

Was Nelsons jedoch bewogen hat, den zweiten Teil des Abends französischer Musik zu widmen, ist rätselhaft. Dass die Bostoner dieses Repertoire beherrschen, kann man auf etlichen Einspielungen hören. Mit Nelsons sind sie noch nicht auf diesem Level. Abgesehen von Intonationsmängeln der Streicher, wenig differenziert phrasierenden Bläsern und nicht immer exaktem Zusammenspiel fehlte es Debussys „La Mer“ an Duftigkeit, Charme, vor allem an Atmosphäre. Auch in Ravels „La Valse“ steckt mehr Raffinesse und Finesse, als es diese sich zu derbem Effekt steigernde Deutung verriet.

Nelsons setzt gern Mahler auf seine Programme. Doch weder seine Sechste in Salzburg 2015 noch die Fünfte zuletzt in Wien mit dem Lucerne Festival Orchestra überzeugten. Auch bei der Neunten sucht er noch eine passende Tempodramaturgie, es dominieren Details zu sehr vor großen Bögen. Mit noch so wirkungssicher eingesetzter Lautstärke allein ist den vielen Facetten dieser Symphonie nicht beizukommen. Ihr Hintergründiges, Parodistisches, ihre grotesken Walzermomente, die schmerzhafte Intensität des Final-Adagios – zudem mit zerdehnten Tempi musiziert – wurden vielfach nur angedeutet.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.05.2016)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.