Zemlinsky lässt alle Grenzen verschwimmen

Thomas Hampson auf einem Archivbild
Thomas Hampson auf einem ArchivbildAPA
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Die Wiener Symphoniker unter Wladimir Jurowski mit einer bezwingenden Deutung von Zemlinskys "Lyrischer Symphonie".

Wenn es um die Liebe geht, kann es schon einmal vorkommen, dass die Grenze zwischen Traum und Wirklichkeit verschwimmt: was ist noch das eine, was ist schon das andere? Genau diesen Bereich vermessen die Liebesgedichte des bengalischen Lyrikers Rabindranath Tagore, was sie zu einer idealen Vorlage für einen Komponisten machen. Das Changieren zwischen den Sphären schafft Möglichkeiten. Alexander Zemlinsky hat diese Einladung gerne angenommen und schon alleine dadurch, dass er sieben Texte in einen so vom Dichter nicht konzipierten dialogischen Zusammenhang stellt, noch einmal eine Zuspitzung des Traum-Wirklichkeit-Prinzips erreicht.

Das ist freilich nur ein Anfang, denn Zemlinsky schuf daraus ein Werk, das in jeder Hinsicht Grenzen verschwimmen lässt. Grenzen zwischen den Gattungen, Grenzen zwischen damals (das Werk entstand 1922/23) traditionellerer und modernerer Tonsprache. Heraus kam ein Meisterwerk, das von verschwenderischer Vielgestaltigkeit und gleichzeitig, das muss kein Widerspruch sein, größter Geschlossenheit ist.

Oder sein kann, denn vom Geschick der Interpreten hängt es ab, ob sich dieser Eindruck tatsächlich einstellt. Dem russischen Dirigenten Wladimir Jurowski ist das im Wiener Konzerthaus gemeinsam mit den Symphonikern, dem Bariton Thomas Hampson und der Sopranistin Anne Schwanewilms gelungen. Wie ein Zeichner, der den Stift ansetzt, und ihn erst wieder vom Papier nimmt, wenn das Werk beendet ist, zieht Jurowski einen großen Bogen über das Werk. Er erweist sich vor allem als Meister der Übergänge, nicht nur zwischen den sieben Einzelstücken, sondern auch bei den diesen innewohnenden Stimmungsschwankungen. Zur Geschlossenheit trägt auch bei, dass die Balance zwischen den Instrumentengruppen perfekt austariert wird und die Instrumentalsolisten, von Konzertmeister Florian Zwiauer angefangen, ihre wertvollen akustischen Puzzelsteine so sinnfällig in den Gesamtzusammenhang einbinden.

Vokal ist vor allem Thomas Hampson eine Idealbesetzung, sein ungebrochen kraftvoller Bariton schafft es zumeist, sich gegen die orchestralen Klangmassen zu behaupten (eine Nuance mehr Rücksicht seitens des Dirigenten wäre hier doch möglich gewesen). Anne Schwanewilms überzeugt vor allem im letzten ihrer drei Lieder, bei dem sie sich in jene krassen Farbregionen vorwagt, die die Grenze zwischen singen und stimmlich darstellen überschreiten.

Das Werk, das den Abend beschloss, band offenbar Energie und Spannkraft, mit denen im ersten Teil hausgehalten wurde: Nach einer reichlich blutarm musizierten Mozart-Symphonie (G-Dur, K 318) hat das Orchester die schöne Tradition, Solisten aus den eigenen Reihen zu präsentieren, fortgesetzt: Ines Galler interpretierte den Solopart von Richard Strauss' Konzert für Oboe und kleines Orchester. Keine Frage, es wurde ordentlich musiziert, kaum je gelang es den Beteiligten aber, Spannung aufzubauen, und den kammermusikalischen Satz so recht mit Leben zu erfüllen.

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