Die politische Brisanz von Verdis Klängen

Die Staatsoper spielt die italienische Version des „Don Carlos“ in Starbesetzung atemberaubend.

Es braucht wirklich keine Neuinszenierung stattzufinden, um Oper auf Premierenniveau zu spielen! Wie aufregend, wie heutig kann ein Werk wie „Don Carlos“ (in der italienischen Version) wirken, wenn im neutralen Ambiente (Angelo Linzalata) Darsteller in möglichst ihren Rollen adäquaten Kostümen (Carla Teti) auf einem am Libretto orientierten Regiekonzept aufbauend (Daniele Abbado) ihre subjektiven Charakterstudien präsentieren können!

Spontaner, direkter, packender als der Dialog zwischen René Pape und Ludovic Tézier alias König Philipp und Marquis Posa kann kein politisches Theater der Welt sein. Berührender als die Duette zwischen Anja Harteros und dem bubenhaft von seinen Pflicht- und Neigungs-Emotionen hin und her gerissenen Titelhelden von Ramón Vargas lässt sich keine Liebesgeschichte denken.

Sprachprägnanz und Schöngesang

Die Konfrontationen der liebenden, leidenden, eifernden, intrigierenden Gestalten des von Verdi so kongenial in Klänge verwandelten Schiller-Dramas werden an diesem Abend immer wieder auf die Spitze getrieben – Sonntag wechselten einander mehrmals die bewusste atemlose Stille und spontaner Szenenapplaus ab. Auch während und nach intensiv durchlebten Monologen wie jenem des Königs oder dem temperamentvollen „O don fatale“ der Prinzessin Eboli: Béatrice Uria-Monzon und René Pape stellen unmittelbaren, aus der Sprache und der Emotion geborenen Ausdruck deutlich vor die Gebote schieren Schöngesangs.

Anja Harteros und Ludovic Tézier einen die scheinbar unvereinbaren Tugenden. In der großen Arie der Elisabeth am Beginn des letzten Bildes entfaltet sich das immense vokale Können der Primadonna zwischen weitgespannten, kraftvoll modellierten Phrasen (in Betrachtung des unbarmherzigen Schicksals) und zartesten Pianokantilenen (in Erinnerung an schöne Jugendtage).

Der Bariton des Marquis Posa strömt herrlich zum Lobpreis des politisch Guten, Wahren und Schönen, reagiert hingegen prägnant und scharf charakterisierend bis hin zum Sprechgesang auf die Realpolitik. Das sind Stimmfeste der hintergründigen Art, wie sie das Opernpublikum liebt. Ensemble-Künstler wie Alexandru Moisuc (Inquisitor), Jongmin Park (Karl V.) oder Ileana Tonca als Tebaldo agieren auf Augenhöhe mit den Superstars – und Chor wie Orchester heizen unter Marco Armiliato die Stimmung immer wieder gehörig an und treiben das Drama erbarmungslos dem bitteren Ende entgegen (am 2. Juni als Livestream). (sin)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.05.2016)

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