Ihre Liebe zu Strauss bleibt einseitig

Anna Netrebko
Anna Netrebko(c) APA/EPA/SVEN HOPPE
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Für Anna Netrebko sind die „Vier letzten Lieder“ keine zwingende Repertoireerweiterung. Thielemann und die Staatskapelle Dresden glänzen bei Strauss wie gewohnt.

Zunächst war es einfach der zweite, abschließende Abend eines Gastspiels der Sächsischen Staatskapelle Dresden unter Christian Thielemann mit Yefim Bronfman als Solist in Beethovens 3. Klavierkonzert und dem „Till Eulenspiegel“ von Richard Strauss: Das allein hätte für einen Feiertag im hiesigen Konzertkalender gereicht. Doch dann war da auch noch, eine Novität für Wien, Anna Netrebko als Solistin in den „Vier letzten Liedern“ angekündigt – und ein Hauch von Ausnahmezustand stellte sich im Goldenen Saal ein, wo sich Fans verschiedener Couleurs mit prominenten Künstlerkollegen mischten: Tenöre, Pianisten, Dirigenten . . . Selbstverständlich zeigte sich das Publikum überglücklich. Aber war der enorme Jubel wirklich gerechtfertigt?

Natürlich haben sich auch schon früher schwerere Stimmkaliber an diese sensualistische Strauss'sche Spätlese gewagt – und auch eine Anja Harteros, um nur ein aktuelles Beispiel zu nennen, nähert sich ihr mit gehörigem Heroinen-Aplomb, wie in Wien zuletzt 2014 im Konzerthaus zu erleben war. Anna Netrebko hat jüngst unter Thielemann in Dresden erstmals Wagner gesungen, die Elsa im „Lohengrin“ – und sich von geplanten Debüts wie Marguerite („Faust“) und Norma zurückgezogen: Längst tendiert sie zum dramatischeren Stimmfach. Die „Vier letzten Lieder“ zählen nicht zwingend dazu. Wie dunkelroter Samt, eingefasst von Goldbrokat, imposant, üppig, satt tönt ihr Sopran: zu satt, um genau zu sein. Dabei beeindruckt ihre gute deutsche Diktion, mit der sie etwa Domingos Wagner-Deutsch klar in den Schatten stellt. Christa Ludwig gestand einmal, sie sei als junge Sängerin vom Tiefsinn mancher Liedtexte noch überfordert gewesen und habe deshalb einfach die Konsonanten so deutlich wie möglich ausgesprochen – worauf prompt alle ihre kluge Wortausdeutung gelobt hätten. Netrebko mag sich das zu Herzen genommen haben, aber ganz funktioniert der Trick bei ihr trotzdem nicht – auch, weil sie sich zwischen ihren Kantilenen mimisch mehr von der durch Thielemann wahrlich betörend abgemischten, fein ziselierten Opulenz der Staatskapelle forttragen lässt, als dass sie den Sinn des Textes widerspiegeln würde.

Es fehlt die bewegende Schlichtheit

Aber wichtiger ist: Nie stellt sich das Gefühl ein, ihre Stimme könnte tatsächlich die Schwerkraft abstreifen und die Seele „im Zauberkreis der Nacht“ schweben lassen, nirgends hört man jene bewegende Schlichtheit, die diese weltabgewandte Wehmut braucht, um ihre ganze Wirkung zu entfalten. Um einen keineswegs despektierlich gemeinten Vergleich zu bemühen: Gewiss ist ein Jumbo-Jet etwas höchst Beeindruckendes. Aber wenn es um die Poesie des Fliegens geht, dann blickt man doch eher träumerisch den Vögeln nach, bestaunt lieber die Wunder der Natur – und nicht jenes der Technik. An Netrebko respektiert man, wie sie ihr enormes Volumen kontrolliert, nimmt zur Kenntnis, dass das nötige Mehr an Schubkraft die Phrasen manchmal ziemlich kurz werden lässt – leider auch dort, wo das schier endlose Strömen des Atems erst den rechten Effekt machte. Und selbstverständlich mag man die Fülle des Timbres genießen, von der ungeheuer sonoren Tiefe bis zur nicht ganz freien Höhe. Am Ende bleibt jedoch der Eindruck einer als Luxus ausgegebenen Willensanstrengung – und jener, vor allem Netrebko gehört zu haben, aber wenig „Letzte Lieder“: großartige Stimme, falsches Repertoire.

Ganz zuhause bei Strauss ist dagegen die in allen Gruppen glänzende Staatskapelle und lieferte als Finale eine nicht minder fulminante, funkensprühende Wiederholung des „Till Eulenspiegel“ vom Vorabend: Die kapriziös-schalkhafte Coda von Beethovens eingangs gegebenem c-Moll-Klavierkonzert hatte es fast vorweggenommen, doch fußt bei Yefim Bronfman alle Leichtigkeit auf gewissenhaftem Ernst. Diszipliniert und klar durchmaß er das Werk zwischen heroischem Grimm und lockeren Figurationen mit seinem in Farbe und Gewicht allerdings etwas basslastigen Spiel, das Thielemann und die Dresdner mit vielfach markanter Detailzeichnung und nobler Legatohülle einfassten.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.06.2016)

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