Salzburgs "geistliche Ouvertüre" zu irdischen Leiden

FEST ZUR FESTSPIELEROeFFNUNG DER SALZBURGER FESTSPIELE 2016
FEST ZUR FESTSPIELEROeFFNUNG DER SALZBURGER FESTSPIELE 2016APA/NEUMAYR/MMV
  • Drucken

Oratorien und Messen der Brüder Haydn oder Musik für Himmel und Erde von Mozart: Überall regiert das Drama.

Vielleicht nicht besonders tiefgründig, aber schwungvoll war die Darstellung von Joseph Haydns „Schöpfung“ durch den energetischen Yannick Nézet-Séguin zum Auftakt der nun schon traditionellen „Ouverture spirituelle“ der Salzburger Festspiele. Die Lust an der Umsetzung der zahllosen pittoresken Details der bilderreichen Partitur wurde vom Chamber Orchestra of Europe bis hinunter zum Kontrafagott herzhaft ausgelebt.

Von den metaphysischen Qualitäten des Oratoriums war wenig zu bemerken. Schon das einleitende „Chaos“ geriet Nézet-Séguin zum wohligen Klangbad. Ecken und Kanten gibt es in dieser – trotz aller Originalklangtrompeten- und Paukenakzente deutlich aus der romantischen Schule kommenden – Sichtweise nicht.

Das Solistentrio führte Hanna-Elisabeth Müllers hübscher, in der Höhe aber oft scharfer Sopran, an Wortdeutlichkeit und vokaltechnischer Flexibilität weder dem schlanken, beweglichen Tenor Werner Güras noch dem expressiven, prägnant artikulierenden Bass Gerald Finleys gewachsen.

Festspielreif hingegen der fabelhafte Chor des Bayerischen Rundfunks, dem der Salzburger Bach-Chor anderntags im Mozarteum Paroli bot: Da konfrontierte man in der Mozart-Matinee klug Michael Haydns Totenmesse für Erzbischof Sigismund mit Werken von Mozart, der als Bub an der Uraufführung dieses sogenannten Schrattenbach-Requiems mitwirkte. Von den subjektiven Ausdrucksmitteln, mit denen der „Salzburger Haydn“ sein Werk hoch über die Massenproduktion handwerklich ähnlich geschickter geistlicher Musik der Epoche heraushob, schaute sich der junge Mozart allerhand ab.

Nicht nur im 20 Jahre später komponierten „Requiem“-Fragment klingt manche harmonische Wendung, manch melodische Passage nach. Dem lakonischen Ernst des einleitenden Kondukts mit seinem unerbittlichen Marschrhythmus begegnen wir – in derselben Tonart – in der viel bewunderten Szene der Geharnischten im „Zauberflöten“-Finale wieder!


Antike Schmerzenslaute. Spannend, dieser Musik in direkter Gegenüberstellung mit Mozarts gewaltigem – vermutlich in Erwartung der Übertragung der Kapellmeisterstelle zu St. Stephan in unmittelbarer Nähe zum „Requiem“ entworfenen – „Kyrie KV 341“ zu begegnen; dieses hieß in der Literatur lang das „Münchner Kyrie“ wegen seiner unleugbaren Verwandtschaft mit den dramatisch aufgewühltesten Passagen aus dem für die bayerische Metropole komponierten „Idomeneo“. Beziehungsvoll in diesem Sinn die dramaturgische Planung des Mozarteum-Programms: Tenor Julian Prégariden demonstrierte im Finale II in der Beichte des verzweifelten Kreter-Königs eminent theatralisches Potenzial.

Der Opernzugriff Adam Fischers sorgte für so erregende Klänge von Wut, Angst und Verzweiflung bei Bach-Chor und Mozarteum-Orchester, dass niemand im Saal eine Inszenierung vermisste. Bemerkenswert, die Brücke, die vom Kyrie zu den weltlichen Geschehnissen führte: Der Beginn der Chaconne aus der „Idomeneo“-Ballettmusik könnte auch ein „Gloria in excelsis“ einleiten; Mozart war Dramatiker in Kirche, Theater und Konzertsaal. Wie solch kühne Verbindung möglich wäre, hat er – man weiß es seit dieser Mozart-Matinee – unter anderem auch bei Michael Haydn gelernt . . .

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.07.2016)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.