Ein Rossini in Wagner-Länge

„Guglielmo Tell“
„Guglielmo Tell“(c) TIROLER FESTSPIELE ERL / APA-FOT (TIROLER FESTSPIELE ERL / APA
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„Guglielmo Tell“ in Erl bietet orchestrale Brillanz und Sopran-Glanzlichter. Leider hat Dirigent Gustav Kuhn auch inszeniert.

Ehre, wem Ehre gebührt: Wenn im letzten Akt Wilhelm Tell im Boot auf dem Vierwaldstätter See den Elementen trotzt, fährt bei geschlossenem Vorhang der Orchestergraben hoch, und sogar Gustav Kuhn erhebt sich dirigierend vom Thron des Intendanten-Maestro, der hier ja den Sitz der musikalischen wie der szenischen Oberhoheit bedeutet. Im Erler Festspielhaus, wo bei Richard Wagner mit größerer Tiefe und schwarzem Schleier als Bedeckung Bayreuths „mystischer Abgrund“ simuliert wird, herrschte bei Gioacchino Rossinis „Guglielmo Tell“ statt Blickdichte beste Sicht auf die hoch motivierten jungen Leute, die sich als Orchester der Tiroler Festspiele Erl von Kuhn zu glitzernder Virtuosität anstacheln lassen. Duftig, schlank und elegant tönen da die Kantilenen, schneidig und wohldosiert schmetternd wird es bei den patriotischen Steigerungen – und beinah ungestüm, wenn es gilt, die von Sturmböen aufgepeitschten Wellen zu schildern.

Letzte Oper des 37-Jährigen

Der große Bogen wölbt sich ohne Risse: vom heiklen, sonor gemeisterten Celloensemble am Beginn der populären Ouvertüre über den Rütli-Schwur und die brutale Farce mit Gesslers Hut bis hin zum hymnischen Jubelfinale, das gar nicht so weit entfernt scheint etwa vom Schluss des „Tannhäuser“.

Erl ist ja nicht nur Tirols Wagner-Hochburg: Natürlich ging der „Ring des Nibelungen“ Mitte Juli an vier aufeinanderfolgenden Tagen als Wiederaufnahme über die Bühne des Passionsspielhauses, aber auch die „Zauberflöte“ kehrt für drei Vorstellungen zurück; neu sind, wie stets flankiert von abwechslungsreichen Konzerten, die in der Dauer wagnerisch anmutenden, aber gleichfalls kürzer erscheinenden viereinhalb Stunden „Tell“.

Gioacchino statt Richard also – und Guglielmo, nicht Guillaume: Man gibt das finale Opernwerk des 37-jährigen Rossini nicht in der Uraufführungsgestalt der französischen Grand Opéra, sondern in der italienischen, für Kuhn „eigentlichen“ Version (nebst ein paar dankenswerten Strichen) – und in einer Besetzung, die das Niveau mancher Erler Wagner-Unternehmungen überragt. Anna Princeva zum Beispiel ist nicht nur im Auftreten eine glaubwürdig hoheitsvolle Habsburger-Prinzessin Matilda, sondern verfügt auch über einen fülligen Sopran, mit dem sie im Lyrischen reüssiert, in den verzierten Passagen kaum minder beeindruckt und allenfalls im Dramatischen an klanglicher Rundung einbüßt. Schlank, aber exquisit tönt Bianca Tognocchi als Tells Söhnchen Gemmy und überstrahlt die Ensembles ohne Mühe, und auch Iurie Ciobanu, als „Meistersinger“-David 2015 in guter Erinnerung, schlägt sich in der gefürchteten Partie des Arnold mehr als nur wacker. Dass sein Tenor in der großen Arie des vierten Akts zum Teil von den Orchesterwogen aufgesogen wird, lässt sich verschmerzen. Giulio Boschetti in der Titelrolle freilich bleibt darstellerisch ein etwas platter Haudegen und kann auch nur einen klanglich etwas ungeschlachten Bariton ins Treffen führen – mit dem er allerdings den körperlich großen, aber stimmschwachen Gessler von Giovanni Battista Parodi immer noch überbietet. Das restliche Ensemble und die Chorakademie der Festspiele schlagen sich tapfer.

Zylinder und Apfel in Weiß

Für Tells Apfelschuss hatte einst David Pountney in Wien eine antiillusionistische, poetisch schöne Idee: Er ließ die Schweizer den Pfeil in Zeitlupe bis ins Ziel weiterreichen – ohne den Rückhalt des Volkes, so die Botschaft, hätte der Freiheitsheld keinen Erfolg gehabt. In Erl ballert man einige Nummern größer, wenn auch ohne Tells Geschoß: Da baumelt nicht nur Gesslers Hut als weißer Zylinder vom Schnürboden, sondern auch eine überdimensionale Armbrust sowie ein großer Apfel in neutralem Weiß. Jene acht Balletttänzer, die immer wieder die einzig dynamische Komponente inmitten überwiegend statischer Arrangements darstellen, reihen sich dramatisch in Zielrichtung auf, schließlich zerteilt sich der Apfel wie von selbst im richtigen Moment – warum nicht.

Ansonsten wird an Kuhns leider wie immer eigener Inszenierung in Alfredo Troisis Bühnenbildern und Lenka Radeckys Kostümen deutlich, dass Erl an klare Grenzen stößt – und von Rechts wegen über die zu Anfangszeiten im Passionsspielhaus sogar charmante, spätestens im neuen Haus jedoch billig wirkende Ästhetik der Behelfsmäßigkeit hinaus sein müsste. Also mischten sich beim Regieteam denn auch schüchterne Buhs in den allgemeinen Jubel, der allerdings dem Dirigenten Kuhn und seinen Sängern wie Musikern uneingeschränkt entgegenschallte.

TV-Aufzeichnung: 30. Juli, 22.20 Uhr (ORF 2) und 31. Juli, 20.15 Uhr (ORF III).

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.07.2016)

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