Wenn aus einem Freudenorkan ein schwaches Mailüfterl wird

File photo of maestro Harnoncourt during a dress rehearsal of Mozart´s opera ´Die Zauberfloete´ in Salzburg
File photo of maestro Harnoncourt during a dress rehearsal of Mozart´s opera ´Die Zauberfloete´ in Salzburg(c) REUTERS (HERWIG PRAMMER)
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Nikolaus Harnoncourt wollte erstmals Beethovens Neunte im Großen Festspielhaus aufführen. Kann das gelingen? Im Gedenken an den verstorbenen Originalklang-Pionier suchte Andrés Orozco-Estrada nach einer Antwort.

Freilich hat Andrés Orozco-Estrada seine Meriten. In Salzburg übernahm der 39-jährige Kolumbianer die heikle Aufgabe, anstelle von Nikolaus Harnoncourt die Aufführung von Beethovens Neunter mit dem Concentus Musicus im Großen Festspielhaus zu leiten.

Da war zu hören, dass es dem Exchef des NÖ Tonkünstlerorchesters gelingt, wohl im Sinne des verstorbenen Originalklang-Pioniers, den ersten Satz als echtes Allegro, nicht als verkapptes Andante con moto zu nehmen, dass er im Scherzo das rasante Molto-vivace-Tempo durchzuhalten vermag, ohne dass ihm die Pferde davongaloppieren.

Sage keiner, dergleichen müsse bei einem Festival wie diesem selbstverständlich sein. Gerühmte Maestri hat man zwischen Berlin und New York an dieser Aufgabe scheitern hören. Andrerseits wurden anspruchsvollere Musikfreunde diesmal vielleicht spätestens im Adagio stutzig, dessen strömende Melodik sich so gar nicht entfalten wollte. Vielleicht hätte ja schon der eine oder andere im Stirnsatz gern Beethovens „un poco maestoso“ eingefordert. Majestätisch konnte an diesem Abend aber nichts klingen. Der Concentus saß zwar in Maximalbesetzung auf dem Podium – doch die reicht möglicherweise für den Mozarteums-Saal aus, macht aber innerhalb der Riesendimensionen des Salzburger Breitwandtheaters, ehrlich gesagt, eher lächerlichen Effekt.

Gewiss, man muss Beethovens Chorsymphonie nicht mit dicken Ölfarben malen. Aber mit drei Kontrabässen nimmt sich die Wiedergabe aus, als wollte man die Partitur auf einen Comicstrip reduzieren. Das Scherzo wird so nolens volens zum Paukenkonzert – mit einem virtuosen Solisten, wohlgemerkt. Das Adagio verweht, obwohl sich die Geiger sogar manch verstohlenes Vibrato gönnen.

Die imposantesten Klänge kommen aus Florian Boeschs Kehle, wenn er mit einigem Recht anmerkt: „O Freunde, nicht diese Töne.“ Der phänomenale, auch von den allerhöchsten Tönen, die Beethoven fortwährend einfordert, nicht zu irritierende Arnold-Schönberg-Chor hatte offenbar die Anweisung bekommen, nur ja nicht – wie Festspielgründer Hofmannsthal einmal sagen lässt – „die Aufsicht über das Ganze“ zu übernehmen, und hielt sich, wenn auch perfekter als diese intonierend, im Hintergrund der Originalinstrumente.

Kiekser in Ces- und in D-Dur

Das war die Chance für die im letzten Moment für Genia Kühmeier eingesprungene Regula Mühlemann und für Elisabeth Kulman, vor allem für Steve Davislim, der sogar beinahe über die ganze Strecke, die er als tenoraler „Held zum Siegen“ auszuziehen hat, hörbar zu bleiben. Das erlebt man sonst nie.

Auf der Habenseite der reduzierten Orchesterbesetzung auch die sonst nur von allerersten Dirigenten austarierte Transparenz des Bläsersatzes. Wobei, apropos Originalklang, die heikle Ces-Dur-Passage im Adagio in ihrer raschen Abfolge von gestopften und natürlichen Horntönen anno 1824 vielleicht wirklich so ähnlich geklungen haben mag; die kurze D-Dur-Stelle im Ausklang des ersten Satzes hoffentlich nicht: Da sollte inmitten des Chaos Hoffnung anklingen . . .

Selbige hatte, wer eine adäquate Umsetzung einer der kühnsten Partituren der Wiener Klassik erwartet hatte, spätestens mit dem rettungslos im akustischen Nirvana des Festspielhauses zerbröselnden Instrumentalrezitativ der Celli und Bässe und dem folgenden, wie hinter vorgehaltener Hand ertönenden „Freude“-Thema schwinden sehen.

Was immer Nikolaus Harnoncourt uns mit dem Projekt hätte mitteilen wollen, es wird ein Rätsel bleiben. Der Meister kann die Antwort nicht mehr geben. Und sein junger Sachwalter stand auf verlorenem Posten. „Ahnest du den Schöpfer, Welt?“, fragte der Chor. Viele Festspielbesucher waren trotz allem entschlossen, lautstark Ja zu antworten.

(Print-Ausgabe, 27.07.2016)

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