Bayreuther Festspiele: Ein Schmerzensmann im „Islamischen Staat“

Bayreuther Festspiele 2016 - Parsifal
Bayreuther Festspiele 2016 - Parsifal(c) APA/Enrico Nawrath (Enrico Nawrath)
  • Drucken

Zur Eröffnung gab es einen neuen „Parsifal“. Jubel für den einspringenden Dirigenten Hartmut Haenchen, Regisseur Uwe Eric Laufenberg bekam Anerkennung, aber auch Buhs. Er übt plakativ blutige Religionskritik.

Endzeitstimmung auf der Bühne: Uwe Eric Laufenberg siedelt „Parsifal“ im irakischen Krisengebiet der Gegenwart an, im schwarzen Herzen des Islamischen Staats (IS). Das Video zur Verwandlungsmusik des ersten Aufzugs zoomt immer weiter aus der Gralsburg heraus, einem einfachen, vom Kriegsgeschehen beschädigten Zentralbau mit Kuppel (Bühne: Gisbert Jäkel), jagt einmal um die Milchstraße herum und landet wieder am Ausgangspunkt: in Mossul offenbar, wo schon während des Vorspiels in dieser Kirche nächtigende Flüchtlinge zu erleben waren, wo zum ersten dunklen Tremolo Soldaten mit Maschinengewehren auftauchen, wo die Männer die schwarz verschleierte Kundry sofort bedrängen. Und wo ein befremdliches Ritual praktiziert wird . . .

Endzeitstimmung auch auf dem Grünen Hügel? Nein. Trotz Polizeipräsenz, Sicherheits- und Kartenkontrollen ging es zweckoptimistisch ruhig zu: Niemand wollte sich Anspannung anmerken lassen. Eine Straßensperre sowie die Absage von Promi-Defilee und Staatsempfang trugen wohltuend zur möglichen Besinnung auf das Wesentliche und auf Wunsch auch zu Besinnlichkeit bei.

Kein Selbstzweck der Langsamkeit

Dabei war dieser neue „Parsifal“ ja zunächst „nur“ von künstlerischer Aufregung begleitet gewesen: 2014 wegen der Trennung von Regisseur Jonathan Meese, vor Kurzem durch den plötzlichen Rückzug des (allzu) viel beschäftigten Dirigenten Andris Nelsons. Die beste Nachricht dieser Eröffnung lautet: Einspringer Hartmut Haenchen hat weit mehr getan, als nur einen Nachlass verwaltet, sondern in bloß zwei Orchesterproben (freilich mit seinem eigenen, nach peniblem Quellenstudium eingerichteten Notenmaterial) eine persönliche Sicht erarbeiten können.

Deren Maxime: ein natürlich dramatischer, weil aus der sängerischen Phrasierung abgeleiteter Fluss. Zum Hetzen verleitet die Partitur ohnehin nicht, viel eher zu einer Art Selbstzweck der Langsamkeit, zum zähen Zelebrieren. Keine Spur davon bei Haenchens Logik der Tempi. Das Festspielorchester und nicht zuletzt der famose, klangprächtige und genaue Chor stellen sich mit Geschick darauf ein – auch wenn, vielleicht ganz bewusst, im ersten Aufzug die Gralsrittermärsche nicht so schmissig geraten wie oft üblich. Wunderbar hingegen, wie die Oboe nicht bloß im Karfreitagszauber ihre betörenden Kantilenen formt, wie die Klarinette immer wieder emporzüngelt, wie die Streicher zart in höchste Höhen schweben – und wie auch an den eindringlich vom Licht des Blechs durchstrahlten Tutti-Stellen noch artikulatorische Präzision und eine gewisse wohltuende Prise Schärfe herrschen kann, ohne dass die mystische Aura verloren ginge.

Unausgeglichene Besetzung

Auf dieser Grundlage ergibt sowohl in den großen Monologen als auch in den Zwiegesprächen wirklich ein Wort das andere, zumal bei Georg Zeppenfeld, dem mit Abstand eindrucksvollsten Sänger der unausgeglichenen Besetzung. Er imponiert als Gurnemanz mit gleichmäßig schlankem, ohne Bruch durch alle Register nobel klingendem Bass, erzählerischer Intensität, scheinbar mühelos strömenden, von langem Atem getragenen Phrasen – und seiner nie forcierten Stimmkraft. Ähnlich ausgeglichen und souverän stehen nur noch Elena Pankratova alle geforderten Töne zur Verfügung – und wie sie im dritten Aufzug ein buckliges altes Mütterchen spielt, verdient besondere Erwähnung. Zu einer vielschichtigen Kundry fehlt es ihr jedoch noch an plastischer Textbehandlung und größerer Farbpalette.

Auch Klaus Florian Vogt ist nicht optimal: Seine beste Wagner-Partie bleibt der Lohengrin. Als Parsifal kämpft er etwas umständlich mit der tiefen Lage, wo sein knabenhaft heller Tenor wenig hergibt, überrascht aber vor allem am Beginn als glaubwürdig cooler junger Schnösel mit Armbrust. Und beim Amfortas Ryan McKinny wird man das Gefühl nicht los, er sei weniger wegen seiner (passablen) stimmlichen Qualitäten als aufgrund seiner körperlichen Eignung als Jesus-Darsteller ausgewählt worden: Mit Dornenkrone und Lendenschurz wird er beim Ritus kräftig und schmerzhaft zur Ader gelassen, die Gemeinschaft trinkt sein Blut.

Etwas willkürlich anmutende, zusammenhanglos in der „Realität“ schwebende Parallelsetzungen wie diese sind typisch für Laufenbergs Deutung, die zu konkret und diffus zugleich wirkt. Gerade im – inszenatorisch schwächsten – Mittelakt, der sich an Klischees von Hamam und Harem bedient, lässt er noch dazu Personen zur Unzeit auf- und abtreten. Das entwertet Parsifals Mitleidsausruf „Amfortas! Die Wunde!“ nach dem Kuss zu einem banalen: „Hoppla, was machst du da?“ Und Kundrys Jesus-Erzählung findet ganz ohne Gegenüber statt, weil Parsifal gerade hinter der Bühne wieder in seinen Kampfanzug schlüpfen muss (Kostüme: Jessica Karge).

Am Schluss steht eine schöne Utopie: Alle Gläubigen legen ihre Religionssymbole in Titurels Sarg und brechen in eine ungewisse Zukunft auf. Rätselhaft bleibt eine regungslos in der Kuppel sitzende Figur. Beim finalen Zerfall der Gralskirche scheint es einen Moment, als würde sie herabschweben wie einst die Taube. Aber nein, vom Herrn, der über uns wohnt, ist hier nichts mehr zu erwarten: Aus dem Oberstübchen kommen keine weisen Botschaften. Das ist auch eine Botschaft.

(Print-Ausgabe, 27.07.2016)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.