Ist Salzburgs Mozartstil neu zu definieren?

SALZBURGER FESTSPIELE 2016: FOTOPROBE ´COSI FAN TUTTE´
SALZBURGER FESTSPIELE 2016: FOTOPROBE ´COSI FAN TUTTE´(c) APA/BARBARA GINDL (BARBARA GINDL)
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Sven-Eric Bechtolf brachte Così fan tutte in der Felsenreitschule heraus. Ottavio Dantone dirigierte.

Kaum ein Werk ist mit der Salzburger Festspielgeschichte inniger verbunden als die dritte von Mozarts Da-Ponte-Opern. Sie galt lang als Stiefkind neben „Figaro“ und „Don Giovanni“; und es war Festspielgründer Richard Strauss, der die Wiederbelebung der Originalfassung dieses Werks mit Hingabe betrieb. Salzburg schien ihm dafür das richtige Forum.

Strauss sollte Recht behalten. 210 Mal ist „Così fan tutte“ mittlerweile im Festspielbezirk erklungen. Und es erweist sich in Zeiten, die gar nicht mehr daran denken, den Inhalt frivol und unmoralisch zu finden, als höchst robust. Man spielte das Stück schon im Residenzhof, häufig im kleinen und vor gar nicht allzu langer Zeit sogar im großen Festspielhaus. Es hat nirgends seine Wirkung verfehlt. Nun versetzte Interims-Intendant Sven-Eric Bechtolf zum Auftakt seines heuer komplettierten Da-Ponte-Zyklus die „Così“-Inszenierung von 2013 in die Felsenreitschule. Und wer da meint, in diesem für Riesenwerke wie Schönbergs „Gurrelieder“ bestens geeigneten Ambiente müssten sich subtile Pointen und das feine Beziehungsgeflecht eines solchen Kammerspiels verlieren, irrt gewaltig.


Scharfe Charakterzeichnung. Tatsächlich hat man eine konzentriertere, stimmigere Produktion dieser bitterbösen Komödie auch bei den Festspielen nicht oft zu sehen bekommen. Das liegt daran, dass Bechtolf den Riesenraum nützt, um einige Dinge zu zeigen, die sich sonst hinter der Szene abspielen. Im Übrigen aber gar nicht versucht, die Dinge mit Gewalt theatralisch zu überdehnen.

Durch gutes Timing und scharfe Charakterzeichnung gelingt es ihm, das Interesse des Zuschauers jeweils auf die wesentlichen Aspekte der komponierten Situation zu fokussieren. Hinreißend, wie etwa die beiden Damen in Ensembles, in denen sie scheinbar das Gleiche zu singen haben, in kleinen und kleinsten Nuancen unterschiedlich reagieren. Was sich in minutiösen Gesten ankündigt, wird konsequent weiterentwickelt.

So beginnt Dorabella (Angela Brower) bereits mit dem neuen Liebhaber zu kokettieren, während ihre Schwester Fiordiligi (Julia Kleiter) noch feststellt, sie werde „wie ein Felsen“ fest bleiben in ihrer Zuneigung zu eben jenem Mann. Das ist nun keine unzulässige Vorwegnahme späterer Aktionen, sondern tatsächlich aus Da Pontes Text und dessen kongenialer Vertonung durch Mozart herauszulesen.

Wer die Zeichen der maßlosen Übertreibung zu deuten versteht, mit der Dorabella zunächst die Rachegöttinnen anruft, versteht, dass diese Frau rascher jeglicher neuen Lockung verfällt als die schwerfälligere Schwester, die als echte Primadonna der ebenmäßigen vokalen Linienführung durchwegs den Vorrang einräumt, während die Kollegin ihren Gesang nicht nur in der „Eumeniden“-Arie geradezu tollkühn aus der expressiv choreographierten, also ungeniert überzeichneten, Gebärde zu generieren scheint.

Die aufmüpfig-pfiffige Despina Martina Jankovás wählt quasi den Mittelweg und gebiert jeden Ton, jede Phrase aus dem beredt artikulierten Text – drei Wege zu erfülltem Gesang. Die Herren der Schöpfung bieten dem Paroli: Alessio Arduinis viriler, energetischer Guglielmo, der wunderbar hintergründige, altersweise und entsprechend sonore Alfonso von Michael Volle; und Mauro Peter, der Stilist, der folgerichtig und unausweichlich in den Armen (und Terzenparallelen) der Sopranistin landet; die A-Dur-Arie singt er in ebenmäßig schöner Linienführung – und es war eine Pointe der Premiere, dass ausgerechnet dort die sonst weich und sensibel musizierenden Bläser des Mozarteumorchesters im entscheidenden Akkord die melancholische chromatische Nuance unterschlugen.

Der Rest des orchestralen Beitrags unter Ottavio Dantones Leitung war der stimmigen, detailverliebten Produktion so anschmiegsam maßgeschneidert wie die bunten, feinen Kostüme Mark Boumans. So viel Harmonie gilt vielen Kommentatoren als rettungslos altmodisch, wobei geflissentlich übersehen wird, wie viel psychologisches Einfühlungsvermögen hier im Gegensatz zu den zuletzt zwanghaft hofierten Modernisierungsversuchen waltet.


Die richtigen Signale. In Wahrheit können sich die Festspiele längst nur noch mit solchen Inszenierungen vom Rest der Opernwelt abheben; verzerrt, verfälscht wird ja allenthalben zur Genüge. Und die musikalische Leistung beweist, dass Originalklangwissen und Tradition durchaus zu einen sind. Gerade solche Signale erfreuen in Salzburg . . .

("Die Presse", Print-Ausgabe, 31.07.2016)

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