Rossini-Festival: Flórez' Stimme schwebt mühelos

(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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In Pesaro feierte Juan Diego Flórez mit "La donna del lago" das 20-Jahr-Jubiläum seines Debüts und beweist, dass er nach wie vor der Belcantotenor schlechthin ist.

Das geht natürlich heutzutage nicht mehr, dass ein ideales Sängerensemble in stimmungsvoller Kulisse eine Rossini-Oper auch szenisch originalgetreu wiedergibt. Den 20. Jahrestag des Debüts des Belcantotenors unserer Tage beim Rossini-Festival in Pesaro galt es zu feiern. Man tat es musikalisch brillant. Doch Regisseur Damiano Michieletto mochte der Versuchung nicht widerstehen, die Handlung anders zu erzählen, als sie im Libretto steht.

Elena bleibt ja längst nicht so unbeeindruckt von der Liebe Ubertos, wie sie singend vorgibt. Doch lassen es die dramatischen äußeren Ereignisse nicht zu, dass die Zuneigung aufkeimen dürfte. Unvermittelt vor die Notwendigkeit gestellt, Vater und Jugendfreund retten zu müssen, trifft Elena die „falsche“ Entscheidung: Sie schlägt Ubertos Hand aus. Michieletto löst das Problem über eine Rahmenhandlung, die das Geschehen permanent pantomimisch begleitet. Von Rossinis herrlich emotionaler Musik lenkt es störend ab, wenn den Abend lang ein gealtertes Ehepaar seine Geschichte aufarbeitet: Elena trauert dem abgewiesenen Geliebten nach, Malcolm quält sich mit Eifersucht.

Und doch siegt Rossini. Das Publikum feiert mit Händen und Füßen den Tenor: Juan Diego Flórez hat vor 20 Jahren in Pesaro debütiert. Zum Jubiläum singt er hier erneut, und das „O fiamma soave“ am Beginn des zweiten Akts erklingt mit unnachahmlicher Inbrunst. Spitzentöne, Oktavsprünge, dynamische Nuancierung und nicht zuletzt Koloraturen und Läufe sitzen durchwegs perfekt, klingen völlig mühelos. Die äußerst hohe Tessitura der Partie ist für Flórez offenbar kein Thema, scheint die Stimme doch geradezu mit Nonchalance durch die schwierigsten Passagen zu schweben. Selbst heikle Ziernoten verwandeln sich in gestalterischem Ausdruck.

Der armenischen Altistin Varduhi Abrahamyan gelingt das Kunststück, neben diesem Jahrhundertkünstler als Malcom bestehen zu können. Wiener Opernfreunde kennen ihre eindrucksvolle Interpretation aus der Produktion, die vor vier Jahren im Theater an der Wien herausgekommen ist. Abrahamyan führt ihren dunkel timbrierten, höhensicheren Alt ausdrucksvoll und mit rhythmischer Attacke, akzentuiert die Koloraturen klar und bewundernswert natürlich. Die Publikumsreaktion beweist: Die Künstlerin hat sich mit dieser makellosen Leistung in die oberste Klasse der Sängerelite gesungen.

„Baritenor“ quält Tenore di grazia

Salome Jicia leiht der Titelrolle, Elena, ihre schöne, leicht dunkel gefärbte Stimme. Bei exponierten Fortepassagen wirkt der Sopran der jungen Georgierin ein wenig überfordert, punktet jedoch bei den Kennern mit schönen, ruhig geführten Belcantophrasen.

Ein Spezialfall ist die Rolle des Rodrigo. Rossini hat sie für Andrea Nozzari komponiert, einen gefeierten Tenor seiner Zeit, dessen stimmlichen Möglichkeiten kraftvolle Töne und Koloraturen nicht nur im obersten Register, sondern auch im baritonalen Bereich erlaubt haben. Seit damals wird dieser, speziell bei Rossini vorkommende Tenortyp auch als Baritenor bezeichnet. Michael Spyres ist ein solcher. Er beherrscht große Sprünge vom hohen C ins baritonale Register und scheint diese Stimmakrobatik ebenso auszukosten wie das jubelnde Publikum. Echten Belcanto hat Rossini für diese Rolle, die er als brutalen Haudegen zeichnet, ohnehin nicht vorgesehen.

Marko Mimica als Douglas vervollständigt mit sonorem, volltönendem Bass das hochkarätige Sängerquintett, dem auch die kleineren Partien, Ruth Iniesta (Serano) als Albina und Francisco Brito (Bertram), in nichts nachstehen.

Michele Mariottis umsichtige, präzise und emotional ausgewogene musikalische Leitung bringt die speziell für diese Oper charakteristische gefühlvolle Seite der Musik Rossinis gut zur Entfaltung. Das Orchester des Teatro Comunale di Bologna ist so blendend disponiert wie der Chor.

Die Lichtregie Alessandro Carlettis verstärkt (wie Klaus Bruns' zeitlos geschmackvollen Kostüme) den Eindruck des stimmungsvollen Einheitsbühnenbildes (Paolo Fantin), das fantasievoll die morbide Stimmung am See beschwört. Störend nur das Wohnzimmer für die von der Regie erfundene Rahmenhandlung. Die Festivalgäste feiern die Sänger und den Dirigenten lautstark, nehmen hingegen vom Regieteam kaum Notiz – auch eine Art der Ablehnung . . .

„La donna del lago“ in Pesaro: 11., 14. und 17. August. Nach einem Konzert am 20. August in Pesaro gastiert Juan Diego Flórez bei den Salzburger Festspielen mit drei konzertanten Aufführungen der Oper „Il templario“ von Otto Nicolai. Karten gibt es noch für den 27. und 30. August.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.08.2016)

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