Society-Skandal und Familienidyll

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ARCHIVBILD: FRANZ WELSER-MOeSTAPA/GEORG HOCHMUTH
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Extrovertierte Musik von Thomas Adès und Richard Strauss, penibel dosiert durch das Cleveland Orchestra unter Franz Welser-Möst.

Eine Pointe für sich, dieser thematische Kontrast: Zu Beginn seines zweitägigen Gastspiels brachte das Cleveland Orchestra Auszüge aus Thomas Adès' Kammeroper „Powder Her Face“. In deren Zentrum steht ein Scheidungsprozess der 1960er-Jahre, ausgelöst durch das Foto eines Blowjobs, das einen unidentifizierbaren Herrn (Douglas Fairbanks Jr.?) und die schottische Millionenerbin Margaret Whigham zeigt, damals mit dem Herzog von Argyll verheiratet – aber nicht mehr lang: der Beginn eines Abstiegs.

Nach der Pause dann wurden kraft einer enormen Orchesterbesetzung alle Mittel spätromantischen Klangrausches aufgefahren, um in der „Symphonia domestica“ banale Szenen aus dem Familienleben von Richard Strauss zu schildern, mit ihm selbst, seiner Frau und seinem Söhnchen als thematischen Hauptfiguren (auch wenn Strauss die Inspirationsgeber für seine musikalischen Volten fast gänzlich aus der Partitur tilgte). Dort also Skandal und Glamour der High Society, hier der Zauber der stillen Häuslichkeit? Jedenfalls kommentierten die zwei Werke die heuer gespielten Opern ihrer Schöpfer: Auch im „Exterminating Angel“ wird der sogenannten besseren Gesellschaft ein Spiegel vorgehalten, und die „Domestica“ nimmt das in der „Liebe der Danae“ angestimmte Loblied auf ein bescheidenes Glück vorweg.

Franz Welser-Möst ließ sich jedenfalls von der in beiden Fällen unüberhörbar extrovertierten Tonsprache nicht dazu verleiten, die Stücke über einen Kamm zu scheren. Die wie unter Alkoholeinfluss lallenden Glissandi in den Tangomelodien der „Dances from Powder Her Face“ werden bei ihm durch straffe Gangart aufgefangen, und die Clevelander lassen die Rhythmen knuspern. Der zentrale „Waltz“ wird gar zum Reigen nächtlicher Quälgeister. In der „Domestica“ durfte es zwar auch krachen – etwa wenn im Finale der Pater familias beim Frühstück zürnt wie Jupiter. Doch insgesamt glückte Welser-Möst mit dem schillernd und fast makellos spielenden Orchester eine Lesart, die so weit wie möglich das Lyrische in den Mittelpunkt rückte und allem unnötigen Bombast auswich – wobei schon die penible Beachtung der dynamischen Vorschriften den Großteil leistete. Im Mittelstück, Adès' pittoresk verschlungenem Violinkonzert „Concentric Paths“, glänzte Leila Josefowicz mit unprätentiöser Virtuosität und schlackenlos reinem Ton.

Beim Festival Grafenegg wiederholen Welser-Möst und das Cleveland Orchestra ihre zwei Salzburg-Konzerte: heute und Sonntag.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.08.2016)

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