Vom Stehplatz auf die große Staatsopernbühne

Clemens Unterreiner
Clemens Unterreiner(c) APA/HERBERT PFARRHOFER
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Bariton im Gespräch. Als er als Bub ein knappes Jahr lang blind war, entdeckte er die klassische Musik für sich: Clemens Unterreiner, am 6. September erstmals als Escamillo in „Carmen“, über seine Karriere und seine Treue zum Haus am Ring.

In der Staatsoper ist der Bariton Clemens Unterreiner ein Mann für alle Fälle. Von der kleinsten Partie bis zur Hauptrolle hat das Ensemblemitglied alles parat; im Vorjahr war er über Nacht Premierenbesetzung für den Vater in Christian Thielemanns „Hänsel und Gretel“-Produktion; am 6. September feiert er sein Rollendebüt als Escamillo in Franco Zeffirellis betagter, doch immer noch attraktiver „Carmen“-Inszenierung.

Auf die Bühne fand der junge Wiener einst über einen dramatischen Umweg: „Eine schwere Augenentzündung hat dazu geführt, dass ich ein knappes Jahr erblindet war. Ich saß damals stundenlang vor unserem Kassettenrekorder und hörte zu, wie Karlheinz Böhm über das Leben der berühmten Komponisten erzählte. So begann ich, die klassische Musik zu lieben. Natürlich hatte das etwas von einer Flucht in andre Welten. Ich war fasziniert von Wagner und den Göttersagen, aber auch von der Figur des Wolfgang Amadeus Mozart, der so jung war und locker-flockig dahinkomponiert hat.“ Ein besonderer Held für den blinden Buben war natürlich Beethoven: „Der war taub und hat komponiert und sogar dirigiert!“

„Der Bub singt die Königin der Nacht“

Die Leidenschaft für Dramatik und vor allem für Oper wuchs, auch nachdem Unterreiner sein Augenlicht wiedererlangt hatte, beständig: „Ich wollte unbedingt immer wieder in die Oper gehen und konnte einfach alles nachsingen.“ Auch die höchsten Koloraturpartien blieben dem Knabensopran nicht verschlossen: „Wenn meine Eltern Gäste hatten, war immer eines der Highlights: Der Bub singt die Königin der Nacht.“

In der Schule erfuhr die musikalische Leidenschaft des kleinen Clemens kräftige Unterstützung. „Dafür bin ich bis heute dankbar, ich hielte es auch für wahnsinnig wichtig, dass sich die Bildungspolitik besinnt und nicht die kulturellen Schulfächer weiter reduziert, sondern im Gegenteil wieder verstärkt. Das hätten wir bitter nötig, dass Zeichnen oder Musik wieder zu Schwerpunkten werden. Alles Kreative sollte gefördert werden!“

Unterreiners Talent jedenfalls wurde gefördert, wie er sich gern erinnert: „Ich bin in den Chor gegangen, in Bühnenspiel, habe die Freude des Singens erlebt, die Freude, auf der Bühne zu stehen.“ Stehplatzbesuche in der Staatsoper heizten seine Leidenschaft weiter an: „Wir haben in Schlafsäcken übernachtet vor dem Haus, wenn die Freni und Domingo angesetzt waren, wenn die Baltsa die Carmen sang, wenn Mara Zampieri auftrat. Und natürlich für den ,Rosenkavalier‘ unter Carlos Kleiber. Damals gab es die berüchtigten Listen. Man musste sich alle paar Stunden melden, um abgehakt zu werden.“

Zehn Jahre lang war Unterreiner, der unbedingt auch die andere Seite der Medaille studieren wollte, als Statist im Haus am Ring tätig. Wenn er gerade nicht zuhörte und applaudierte, stand er selbst auf der Bühne und kann heute von sich behaupten: „Ich habe bestimmt die profundeste Staatsopernkarriere gemacht, vom Stehplatz und der Statisterie als Sänger zuerst ins Kinderzelt und dann hinunter auf die große Bühne.“

Dort singt er den Escamillo in derselben Inszenierung, in der er einst Agnes Baltsa in der Titelpartie bewundert hat. Er ist fühlbar stolz darauf, das erreicht zu haben. Keiner hatte anfangs daran geglaubt, dass aus ihm ein Sänger werden würde. Ein Jusstudium begann er zur Beruhigung der Eltern. Konservatorium oder Musik-Uni wollten ihn als Gesangsstudenten nicht akzeptieren. So finanzierte er sich private Lehrer mit Jobs im Gastgewerbe oder – „einer der lustigsten Jobs in meinem Leben“ – als Hausmeister in der Annagasse. „Ich habe auch Schuttmulden vermittelt, war mir für nichts zu schade, um die teuren Gesangstunden zu finanzieren.“

„Ich habe hier wirklich alles gesungen“

Zu schade war sich Unterreiner auch nicht, nach einem ersten Engagement am Linzer Landestheater, in Wien zunächst in der Kinderoper aufzutreten. Das verschaffte ihm eine Einladung, dem damaligen Direktor Ioan Holender vorzusingen. Nun ist er seit einem Jahrzehnt Mitglied des Staatsopernensembles und ist sicher: „Ich bleibe meinem Haus treu, solang es bergauf geht. Es ist auch gar kein Problem, zwischendurch immer wieder in kleineren Partien aufzutreten. Es darf nur nie bergab gehen.“

Geht es auch nicht. Auf den Escamillo folgt in der Silvester-„Fledermaus“ der Doktor Falke. „Ich habe hier von der kleinsten undankbarsten Rolle bis zur Hauptpartie wirklich alles gesungen“, sagt er. Natürlich koste das Nerven: „Ich habe einige sehr gute Kollegen kommen und gehen sehen, die dem Repertoirebetrieb einfach nicht gewachsen waren, für den man ständig alert sein muss. Aber ich bin mir bei karitativer Arbeit mit kranken und behinderten Menschen bewusst geworden, was wirklich wichtig ist im Leben. Es ist ja gewiss schrecklich, wenn uns etwas passiert auf der Bühne, wenn etwas schiefgeht, aber es stirbt dabei ja keiner . . .“

So, meint der Sänger, sei seine Aufgabe eine Art Geschenk: „Wir dürfen Menschen unterhalten, sie für ein paar Stunden in eine andere Welt entführen und sie mit einem Lächeln gehen lassen.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.09.2016)

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