Lang Lang: „Alle Aspekte von New York reflektieren“

Auf seinen New-York-Fotos lächelt er nicht: Starpianist Lang Lang in Pose.
Auf seinen New-York-Fotos lächelt er nicht: Starpianist Lang Lang in Pose.(c) Robert Ascroft/Sony Classical
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Klassikpianist Lang Lang legt mit „New York Rhapsody“ eine musikalisch klug austarierte Hommage an die Metropole vor. Der „Presse“ erzählte er von Wanderungen durch Queens und Duetten mit Herbie Hancock.

Die Popmusik ist randvoll mit Liebesbekundungen an New York. Meist ambivalenten. Zwischen amerikanischem Traum und der Lebensrealität klafft ja oft ein großes Loch. Den „shabby lifestyle“, wie er in New-York-Songs von Leonard Cohen bis zu den Strokes idealisiert wird, mögen nur jene, die ihm jederzeit entfliehen können. Etwa Lou Reed, den „Walk on the Wild Side“, seine asphaltpoetische Ode an New York, wohlhabend machte. Ein Song von LCD Soundsystem hieß ein Vierteljahrhundert später viel realistischer: „New York, I Love You But You're Bringing Me Down“.

Diesen Widersprüchen versucht der chinesische Klassikpianist Lang Lang mit seinem am Freitag erscheinenden Opus „New York Rhapsody“ schon vom Konzept her gerecht zu werden: „Wir wollten alle Aspekte von New York reflektieren. Nicht bloß die freundlichen“, sagt er im Gespräch mit der „Presse“. So holt „New York Rhapsody“ zeitlich wie stilistisch weit aus. Partikel aus Folk, R&B, Jazz und Klassik formen ein faszinierendes Kaleidoskop, das nicht mit herkömmlichem Cross-over verwechselt werden sollte.

„Nur eine der Hauptstädte der Welt“

Lang Lang lebt seit 2007 in der „Hauptstadt der Welt“, wie sie Frank Sinatra noch in den Siebzigerjahren genannt hat. „Heute ist New York nur mehr eine der Hauptstädte der Welt“, schränkt Lang Lang ein. Freilich eine, die wie in John Dos Passos berühmtem Städteporträt „Manhattan Transfer“ (1925) die Menschen mit ihren Ansprüchen zermalmen kann. Die Glücksmöglichkeiten sind rar, vielleicht werden sie deshalb so nachhaltig beschworen. Und so sind die besten Hymnen auf New York gleichzeitig jene, die den ewigen Traum propagieren. „If I can make it there, I'll make it anywhere“, jubilierte Frank Sinatra 1980 in „Theme from New York New York“. 29 Jahre später schuf Alicia Keys mit „Empire State of Mind“ eine aktualisierte Version dieses Glaubenssatzes.

Das Sinatra-Stück ließ Lang Lang aus. Es scheint ihm schon zu abgehört. Gern griff er bei „Empire State of Mind“ zu. „Uns war klar, dass es eine große Vorgabe war, dieses Lied zu covern. Aber ich hatte großes Vertrauen in die Möglichkeiten von Sängerin Andra Day. Wie nun jeder hören kann, hat sie ihre ganz eigene Note eingebracht.“ In der neuen Version klingt der amerikanische Optimismus gedämpfter. Lang Langs Pianoläufe sind hier von delikater Zögerlichkeit, Andra Day operiert ohne viel Pathos: „There's nothing you can't do now you're in New York. These streets will make you feel brand new.“

Es zählt zu den Stärken von „New York Rhapsody“, dass es nicht beim Triumphgeheul der Erfolgreichen bleibt, sondern bewusst auch an die dunklen Ecken schlendert. Das tut Lang Lang gern auch privat. Da durchwandert er zuweilen nicht ganz ungefährliche Nachbarschaften wie Jamaica, Queens und Harlem. Nicht die Hochglanzfassaden, sondern die Schattenseiten einer Megapolis schenken die reizvolleren Sujets. Selbst das Cover von „New York Rhapsody“ kommuniziert dies. Statt wie üblich zu lächeln, sitzt Lang Lang in nachdenklicher Pose auf Stufen. Um die Diskrepanz zwischen hochfliegenden Fantasien und trister Realität dramatisch darzustellen, gibt Lang Lang sogar ein Medley aus Leonard Bernsteins „Somewhere“ (aus „West Side Story“) und Lou Reeds „Dirty Blvd.“. Mit erstaunlich wenig Noten gelingt es hier, den Bogen vom juvenilen Optimismus zur dauerhaften sozialen Niederlage zu spannen.

Zwei Stücke von Aaron Copland

Ob zum Guten oder zum Bösen, alles kann sich innerhalb nur einer „New York minute“ wenden, warnt Sängerin Kandace Springs etwas später. Eingerahmt sind derlei Popjuwelen von zwei Tondichtungen des großen Aaron Copland, dem litauischen Einwanderer, der den amerikanischen Charakter wohl am stimmigsten in Musik übersetzt hat. An seiner Vielschichtigkeit labte sich Lang Lang, der sich sonst klugerweise meist zurückhält, seine Virtuosität nicht zur Schau stellt.

Die zentrale Komposition auf „New York Rhapsody“ stammt von George Gershwin. Dessen „Rhapsody in Blue“ hat Lang Lang erstmals bei der Grammy-Gala 2008 mit Jazzpianist Herbie Hancock gespielt. „Da improvisierte er, dass mir Hören und Sehen verging“, lacht er. Man habe voneinander gelernt, meinte Hancock jüngst diplomatisch. Kann man sagen, dass es im Jazz um Freiheit, in der Klassik um Sicherheit geht? Lang Lang sieht das differenzierter: „Wir haben schon auch unsere Möglichkeiten, halt nicht so radikal wie im Jazz. Aber hie und da kratzen wir ein wenig an der Struktur, wechseln Klangfarben und Temperament.“

Freilich, als Jazz-Improvisator im strengen Sinn zeigt sich Lang Lang auch auf „New York Rhapsody“ nicht. Doch es könnte sein, dass sich in der Vielfalt der Stile mehr von seiner Persönlichkeit als auf vielen seiner Klassikeinspielungen offenbart.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.09.2016)

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