Weltpremiere: Thomas Bernhard in New York

Repetitive Wortkaskaden: Bariton Rod Gilfry rezitiert den Monolog, am Schluss taucht im Hintergrund Conrad Tao als Glenn Gould auf.
Repetitive Wortkaskaden: Bariton Rod Gilfry rezitiert den Monolog, am Schluss taucht im Hintergrund Conrad Tao als Glenn Gould auf.(c) Brooklyn Academy of Music
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An der Brooklyn Academy of Music wurde die Oper „the loser“ nach dem Roman „Der Untergeher“ vorgestellt. Grundmotiv: das Scheitern an Schönheit und Perfektion.

Neben der Met, der Metropolitan Opera in Manhattan, gibt es in New York eine zweite wichtige Adresse für Opernfans: Die Brooklyn Academy of Music, kurz BAM, die oft mit Inszenierungen vor allem zeitgenössischer Produktionen reüssiert. Dort wurde nun die Oper „the loser“ uraufgeführt. Die Textvorlage des einstündigen Bühnenwerks für Solobariton und kleines Ensemble stammt von Thomas Bernhard, Bühnenbild und Musik vom kalifornischen Pulitzer-Preisträger David Lang.

Wie Bernhards Prosa zelebriert der Einakter, dessen Libretto auf dem Roman „Der Untergeher“ basiert, den Einsatz minimalster Mittel auf maximalem Raum. Für die szenische Umsetzung des Ein-Personen-Stücks war man sogar bereit, auf gut zwei Drittel des Zuschauerraums zu verzichten, um Bariton Rod Gilfry mit den knapp 1000 Zuschauern im ausverkauften mittleren Rang auf Augenhöhe zu stellen. Auf einer inmitten des gesperrten Parketts montierten, sechs Meter hohen Plattform trug er seine repetitiven Wortkaskaden als monotones Rezitativ vor, das sich wie ein chromatisches Pendel um einige wenige Grundtöne bewegte. Die Handlung des 240-seitigen Monologs hatte der Komponist dafür auf acht Szenen eingedampft, die zuspitzende Sprachökonomie der Vorlage ist der innere Motor seiner Musik.

Die beiden Hauptfiguren, Wertheimer und der Klaviervirtuose Glenn Gould, erscheinen dabei allein in der Erinnerung des „Untergehers“ – des namenlosen Icherzählers, der in der Übersetzung schlicht zum „Loser“ degradiert und als einzige sprechende Rolle ins Zentrum gerückt wird. Rückblickend erzählt er, wie die drei Pianisten Anfang der Fünfziger am Salzburger Mozarteum Meisterklassen zu Bachs Goldberg-Variationen besuchen. Die beiden weniger talentierten scheitern an Goulds stupender Virtuosität und geben das Klavierspiel auf, Letzterer sogar das eigene Leben: Sein Suizid ist der dramatische Höhepunkt der Handlung.

Statt Bach: Perfektes Geklimper

Lang vermeidet glücklicherweise den naheliegenden Rückgriff auf die Goldberg-Variationen als mögliche musikalische Fundgrube für seine Partitur. Stattdessen lässt er sich von der Sprache der Vorlage und ihrem irren Fugato leiten, dem die englische Übersetzung nichts anhaben kann. Umgesetzt wird das durch eine programmatisch leere, fast nur als Rhythmus oder vages Pochen vorhandene Musik, die mit Kürzest-Loops und Versatzstücken das Rezitativ als Generalbass grundiert. Darüber schwebt oder irrt der nur selten intensiver werdende Monolog des Erzählers, der über trockene Cello-Pizzicati und hohle Klängen vom Marimbafon ab und zu in ein von der Bratsche begleitetes Lamento übergeht.

In Langs Interpretation stehen allein der Erzähler und sein Gedankengefängnis im Mittelpunkt; nicht das Wunderkind Gould, nicht die Schönheit Bach'scher Fugenkunst. Der Überlebende, eingeschlossen in die Weite des beinahe leeren Zuschauerraums, rechnet mit den Abgründen des Virtuosentums ab. Die Musik dazu verzichtet folgerichtig auf jede Form eigener Virtuosität und gibt sich als bloßes Beiwerk. Als zum Schluss im Hintergrund Conrad Tao als Gould selbst am Flügel erscheint, selbstvergessen vor sich hinspielend, erinnert das entfernte Geklimper – entfernt – an die Aria aus den Goldberg-Variationen. Was sich abermals als chromatisches Pendel und musikalischer Nonsens entpuppt, verweist auf die eigentliche Botschaft des Abends, die der Effekt selbst ist. Nicht um Schönheit und Perfektion geht es Lang, sondern um das Scheitern an beidem.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.09.2016)

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