Verdi in Linz: Hau den Falstaff!

Kämpft auf verlorenem Posten gegen die neue Zeit: F. Longhi als Falstaff.
Kämpft auf verlorenem Posten gegen die neue Zeit: F. Longhi als Falstaff. (c) Linzer Landestheater/Patrick Pfeiffer
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Federico Longhi glänzt als saftig-eloquenter Falstaff und tragische Figur der Industrialisierung.

Ein trauriges Ende: Gerade hat noch Verdis grandiose Schlussfuge alles auf Erden zu Spaß und die Menschen zu geborenen Narren erklärt, da macht Ford mit einem letzten Schlag der dickwanstigen Verkörperung aller Sinnesfreuden den Garaus. Falstaff ist zum „Hau den Lukas“ geworden, scheint mit der Jahrmarktattraktion verwachsen, an die er zuvor gefesselt worden ist. Und jetzt muss er auch noch kläglich sein Leben aushauchen . . .
Es stimmt schon, ein bisschen arbeitet auch Guy Montavon in seiner Inszenierung mit dem Holzhammer, wie hier der eifersüchtige Ford. Aber die meisten Hiebe treffen. Und gar mit einem musiktheatralischen Doppelschlag beginnt Hermann Schneider seine Intendanz am Linzer Landestheater: Für die Eröffnungspremiere von „Falstaff“ am Freitag hat er den Erfurter Kollegen Montavon an das Haus geholt; Die österreichische Erstaufführung von Michael Obsts „Solaris“ (1996) nach Stanisław Lems utopischem Roman tags hat er selbst inszeniert.

Montavon erzählt die Geschichte des dicken Ritters in der Zeit der industriellen Revolution: Aus dem elisabethanischen Windsor wird ein von Fabriken, Maschinen, Ziegelwänden und Hinterhöfen bestimmtes Manchester. Da hausen gestrandete Existenzen wie Sir John Falstaff und seine Diener als veritable Sandler. An der Wand prangt Picassos „Don Quixote“, den Falstaff anbetet: Auch er kämpft auf verlorenem Posten und nach alten Regeln gegen die Windmühlen der neuen Zeit. Auf einem vielfältig bespielten Häusel mit Herzerltür muss der Stehpinkler in sein Verführungsoutfit schlüpfen, einen weißen dreiteiligen Anzug – affig, aber pipifein.

Ein archetypischer Clown. Und natürlich sind ihm die lustigen Weiber auch hier über, die mit resolutem Handtaschenschwung fast suffragettenartig ihr Recht durchsetzen. Falstaff wird nicht in einem Wäschekorb in die Themse gekippt, sondern ambientegerecht in einem Förderwagen voller Abfall zuerst auf Schiene und dann zum schmählichen Entgleisen gebracht. Die Maskerade im letzten Akt spielt sich in einem verlassenen Vergnügungspark ab, wo sich Spaß und Gruseln auch popkulturell die Hand reichen. Da schwebt rund um ihn die ätherisch klingende Fenja Lukas (Nannetta) als Mary Poppins einher, die in Jacques le Roux einen Fenton von kräftigem Schmelz findet, da tanzen Carmen, Laurel und Hardy und andere alte Bekannte Ringelreihn.

Falstaff ist hier zum archetypischen Clown geworden – eine etwas forcierte Umdeutung. Dem großartigen Federico Longhi gelingt es jedoch mit seinem saftigen, in allen Lagen gleich gut ansprechenden, eloquenten Bariton und seiner darstellerischen Intensität, jene Spuren von alter Würde und Grandezza zu zeigen, die ihm die Regie genau genommen abspricht. Er ist als Gast souveräne Zentralfigur im wackeren Hausensemble, in dem Myung Joo Lee und Martin Achrainer als Ehepaar Ford teilweise allzu vorsichtig klingen. Vielleicht lag es auch an Dennis Russell Davies am Pult, der mit dem guten Bruckner-Orchester Linz manch breite Tempi wählte. In den heiklen Ensembles waren noch mehr die Mühen der Einstudierung zu vernehmen, als dass funkelnd exaktes und doch frei wirkendes Musizieren beeindruckt hätte: Das wird sich hoffentlich noch ändern.

Vorstellungen bis 28. 2. www.landestheater-linz.at

Verdis letzte Oper

1840. Verdis erste komische Oper „Un giorno di regno“ wird zum Fiasko. Er scheut dann jahrzehntelang vor dem komischen Genre zurück.
1893 kommt es doch zur Uraufführung einer weiteren komischen Verdi-Oper. Arrigo Boitos „Falstaff“-Libretto basiert auf Shakespeares „Die lustigen Weiber von Windsor“.

1895. UA von „Till Eulenspiegels lustige Streiche“ v. Richard Strauss, einem großen „Falstaff“-Fan. Dieses Werk ebenso wie Strauss' Opern enthalten immer wieder Anklänge an den „Falstaff“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.09.2016)

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