Berührender Abschied von Sir Neville Marriner

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Die Academy of St Martin in the Fields und Julia Fischer spielten im Musikverein ohne Dirigenten.

Mendelssohns „Hebriden“-Ouvertüre zu Beginn: Sie klang wehmütiger und auch bedächtiger als üblich. Schwang da in den Herzen und Hirnen der Musiker noch das gemessene Tempo mit, das vielleicht Sir Neville Marriner angeschlagen hätte? Hätte er Blech und Pauken, die sich allenfalls eine Spur zu aggressiv hineinmischten, gedämpft? Aber plastischer hätten die Holzbläser kaum hervortreten, schöner die Wellenbewegungen der tiefen Streicher sich kaum mischen können. Statt Applaus dann eine Schweigeminute: alles andere als ein herkömmlicher Abend.

Kein Einspringer am Dirigentenpult der Academy of St Martin in the Fields hätte die Ehrenbezeugung für ihren am Sonntag 92-jährig verstorbenen Gründer leiten können. Nur der leere Platz in der Mitte konnte als Symbol für den schmerzlichen Verlust Sir Nevilles und zugleich die ungebrochene Präsenz seiner Prinzipien gelten: den uneitlen Dienst am Werk in kammermusikalisch schlanker Gestalt, die aufrichtige Suche nach einer selbst schon klassisch zu nennenden goldenen Mitte in vielen Belangen des Musizierens.

Julia Fischer: Rein und klar im Ton

Das trifft sich mit Julia Fischers Sicht von Beethovens Violinkonzert. Als Prima inter pares wechselte sie je nach musikalischem Zusammenhang mühelos zwischen den Rollen einer Impulsgeberin und einer ins Rampenlicht gerückten Solistin. Verblüffend, wie genau oft die Balance zwischen bloßen Geigenfigurationen und thematischen Vorgängen im Orchester gelang: Man konnte sich regelrecht aussuchen, was man im Vordergrund hören wollte. Bis in höchste Höhen rein und klar im Ton, erfüllte Fischer den Violinpart mit klangvollem, über viele Klippen geschmeidig hinwegführendem Legato und doch zielgerichtetem Drängen, besonders in den Kreisler-Kadenzen: Wo sich andere alle paar Takte bedeutungsvoll ausbreiten, strebt sie längst weiter. Es mag den besonderen Umständen des Abends geschuldet sein, dass auch das Finale, um mit Schumann zu sprechen, „fast zu ernst“ blieb. Bachs d-Moll-Sarabande passte freilich perfekt zu dieser Haltung.

Auch bei der Es-Dur-Symphonie KV 543 tat Konzertmeister Tomo Keller bloß das Nötige zur Koordination: Mozart, nie zu dick aufgetragen oder gar karg. Als Zugabe und Abschied der Academy von ihrem „geliebten Sir Neville Marriner“, so Keller, dann ein Stück, das diesem besonders am Herzen lag: „Danny Boy“ in Percy Grangers süffiger Instrumentierung, mit Herzblut erfüllt. Tränen der Rührung im Orchester wie im Publikum.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.10.2016)

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